Die Würde des Menschen steht im Mittelpunkt

Fünf Jahrzehnte "Brot für die Welt" - Vom Spendenaufruf zum professionellen Hilfswerk

20. November 2008


Die Geburtsstunde von "Brot für die Welt" schlug am 12. Dezember 1959. Rund 12.000 Menschen waren in die Berliner Deutschlandhalle gekommen, wo sie der evangelische Theologe Helmut Gollwitzer aufrütteln wollte, "aus der Trägheit des Herzens". Viele Mark und viele Pfennige wanderten in die aufgestellten großen Spenden-Dosen. Es waren die Dosen, in denen die US-Amerikaner Milchpulver ins darbende Nachkriegsdeutschland geschickt hatten. Aus Dankbarkeit sollten nun deutsche Christen in den ersten Wirtschaftswunder-Jahren Hungernde in Indien und Afrika bedenken.

Das Echo übertraf die Erwartungen. Mit fast 20 Millionen Mark Spenden hatten die evangelischen Landes- und Freikirchen, die Träger von "Brot für die Welt", nicht gerechnet. Das erste Geld ging unter anderem nach Marokko, Chile und Indonesien. Was als einmalige Aktion gedacht war, wurde zur ständigen Einrichtung. Wenn am 30. November die 50. Sammelaktion "Brot für die Welt" in Berlin startet, steht dahinter eine der größten Spendenorganisationen in Deutschland mit mehr als 100 Mitarbeitern. 2007 gingen fast 53 Millionen Euro ein.

Als einer der Ehrengäste ist der anglikanische Erzbischof David Gitari aus Kenia zum Jubiläum eingeladen, der als "Bischof der Armen" geschätzt wird. Gitari, heute im Ruhestand, kam auch einmal nach Stuttgart, um zu feiern. Der Bischof wollte sich damals mit "Brot für die Welt" über das friedliche Ende des Regimes von Daniel arap Moi Ende 2002 freuen. "Wir verdanken das Euch", sagte der Bischof, der mehrere Mordanschläge überlebt hat, zu "Brot-für-die-Welt"-Direktorin Cornelia Füllkrug-Weitzel.

Viele Jahre hatte die Hilfsorganisation die Arbeit des Kenianischen Kirchenrats für Menschenrechte und Demokratie unterstützt. Dieses Projekt steht für den Wandel, den "Brot für die Welt" in fünf Jahrzehnten vollzog: Von der akuten Nothilfe in den Anfangsjahren zu der langfristigen Entwicklungsarbeit, den politischen Kampagnen und strategischen Hilfen von heute, um die Wurzeln von Hunger und Armut anzugehen. "Brot für die Welt" verschrieb sich früh der Hilfe zur Selbsthilfe. Doch "es dauerte fast zwei Jahrzehnte, um den Weg vom Großkrankenhaus zum Basisgesundheitsdienst zu gehen", sagte der 2003 verstorbene langjährige Direktor Hans-Otto Hahn einmal selbstkritisch.

Das Erbe des Kolonialismus und der Kalte Krieg: "Brot für die Welt" ergriff Partei und handelte sich trotz strikter Gewaltfreiheit den Vorwurf ein, bewaffnete Gruppen in Brasilien, im Nahen Osten oder den Philippinen zu unterstützen. Für Streit sorgte auch die Apartheid in Südafrika. 1970 zog sich "Brot für die Welt" schließlich vom Antirassismusprogramm des Weltkirchenrats zurück. Die Aktion "Hunger durch Überfluss" empörte 1981 die Bauernverbände und löste hitzige Diskussionen über Agrarexporte, Viehfutterproduktion und Fleischkonsum aus.

Mit der Grundsatzerklärung "Den Armen Gerechtigkeit" wurde 1989 das Ziel formuliert, ungerechte Verhältnisse zu ändern. 1997 legt sich "Brot für die Welt" auf die Förderung einer nachhaltigen kleinbäuerlichen Landwirtschaft fest, ohne Chemie. "Empowerment" wurde zum Ziel der Entwicklungsprojekte, also die Stärkung und Bildung von landlosen Bauern, Slumbewohnern oder indianischen Frauen, damit sie selbst ihre Rechte einfordern und ihre Lebensverhältnisse verbessern können. "Ich kenne kein besseres Konzept als Empowerment", sagt Direktorin Füllkrug-Weitzel.

Der EKD-Ratsvorsitzende, Bischof Wolfgang Huber, würdigte die evangelische Hilfsaktion: „Das Ziel von „Brot für die Welt“ ist es, Ursachen der Armut zu bekämpfen, Hilfe zur Selbsthilfe zu leisten und damit zum Aufbau einer gerechteren Welt beizutragen; dafür wird in einer großen Breite die Hilfsbereitschaft in unserem Land in Anspruch genommen. Für viele sind „Brot für die Welt“ und das Weihnachtsfest besonders eng verbunden. Man kann sich nicht über die Weihnachtsgaben freuen, ohne mit Menschen in Not zu teilen. Für diesen Geist der Nächstenliebe steht „Brot für die Welt“.

Und der frühere Entwicklungsminister Erhard Eppler (SPD) ist überzeugt, dass "Brot für die Welt" in fünf Jahrzehnten Millionen von Menschen ein menschenwürdiges Leben ermöglicht hat. Die Entwicklungszusammenarbeit zwischen kirchlichen Partnern gewinnt für ihn neue brisante Aktualität: "Wo Staaten zerbröseln, halten Kirchengemeinden zusammen." Füllkrug-Weitzel misst den Erfolg der Projekte nicht in volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen: Im Mittelpunkt stehe der einzelne Mensch, mit seiner Würde und seinem Stolz.

Zum Ausruhen bleibt keine Zeit. "Brot für die Welt" will in seinem 50. Jahr eine lernende Organisation bleiben und sich auf die Herausforderungen der Globalisierung einstellen. Aufbruch ist angesagt. Bis 2013 ist ein Zusammenschluss mit dem Evangelischen Entwicklungsdienst geplant, unter einem gemeinsamem Dach mit der Diakonie, dann in Berlin. Die Fusion soll eine neue Verbindung von Entwicklungs- und Sozialarbeit im In- und Ausland ermöglichen. Auch international will "Brot für die Welt" im Verbund mit kirchlichen Hilfswerke aus anderen Ländern mehr politischen Einfluss gewinnen. Sie wollen "Motoren gesellschaftlichen Wandels" sein, wie Füllkrug-Weitzel sagt. (mit epd)

Evangelische Hilfsaktion "Brot für die Welt"


Dokumentation:

"Menschen hungern nach Brot!" - Der erste Spendenaufruf von 1959

Mit einem eindringlichen Appell baten die evangelischen Kirchen in der Adventszeit 1959 die Bevölkerung zum ersten Mal um "Brot für die Welt". Dass jeder fünfte Erdbürger "am Rande des Verhungerns" stehe, dürfe niemanden gleichgültig lassen, hieß es darin. Das Echo war überwältigend: Die Deutschen in West und Ost spendeten fast 20 Millionen Mark. In diesem Jahr startet die 50. Sammelaktion am 30. November. Der Aufruf von 1959 trug die Überschrift "Menschen hungern nach Brot!" Wir dokumentieren Auszüge:

(...) "Unsere Generation in Deutschland weiß, was hungern heißt. Bilder aus den ersten Nachkriegsjahren stehen vor uns, eigene bittere Erfahrungen werden wach. Aber Gott ist barmherzig mit uns gewesen. Wir haben viele Hilfe anderer Völker erfahren. Besonders ihre Kirchen haben geholfen. Durch unserer Hände Arbeit haben wir dann wieder unser Brot verdienen können, teilweise reichlich.

Deutschland gilt draußen in der Welt wieder als wohlhabendes Land. Vergleicht man unseren Lebensstandard mit dem vieler anderer Länder, besonders in Asien, Afrika und Südamerika, dann sieht man, daß dies Urteil nicht ganz unberechtigt ist. Deshalb rufen wir die evangelische Christenheit unseres Landes zu einem besonderen Opfer der Dankbarkeit.

Wir dürfen nicht blind und hartherzig an den Millionen vorübergehen, denen es an Brot fehlt. Wir müssen nach Kräften Hilfe leisten! Es ist gut und nötig, die Frage nach den Wurzeln dieser weltumspannenden Not zu stellen, um ihre ganze Tragweite ermessen zu können. Dabei werden wir immer wieder voll Erschrecken auf viele Schuld der weißen Völker in der Vergangenheit stoßen. Eben dies aber legt uns eine besondere Verantwortung für die Hungernden und heimatlosen Menschen heute und morgen auf.

(...) So geht unser Ruf an alle Gemeinden unserer Kirchen in Ost und West: Legt in den Wochen der Advents- und Weihnachtszeit, in den Tagen der Erwartung und der Freude über das Kommen des Gottessohnes, ein reichliches Opfer zusammen, damit an vielen Orten der Not Menschen Heilung und Hilfe erfahren.

(...) Wer meint, einen Einrichtungsgegenstand jetzt erstehen zu müssen, denke an die verhungernden Kinder in Asien. Wer an die Weihnachtseinkäufe für seine Familie denkt, teile den Betrag so ein, daß auch einer der Darbenden mitbedacht wird. Wollen wir zum Fest der Geburt unseres Herrn und Heilandes einander mit Luxus überhäufen und im Überfluß des Genießens leben, während Millionen in anderen Erdteilen kaum eine Handvoll Reis zu essen haben?" (epd)