Christlich-muslimisches Spitzentreffen in Berlin

Teilnehmer bekennen sich zu konstruktiver Streitkultur

21. Oktober 2008


Die Fernsehkameras lauerten schon auf der Treppe, als die Gesprächsteilnehmer nach anderthalb Stunden aus dem Sitzungsraum kamen. Der Raum der Pressekonferenz war überfüllt, die Journalisten schoben sich gegenseitig herum, um die besten Bilder zu bekommen und als erstes ihre Frage stellen zu können. Das war vor vier Jahren. Im Januar 2005 fand das erste Spitzentreffen zwischen der EKD und muslimischen Verbänden in Deutschland statt - damals noch eine kleine Sensation mit viel inhaltlichem Zündstoff. Vier Jahre später ist eine gewisse Ruhe eingekehrt – nur eine kleine Handvoll Journalisten wartet geduldig, als am Montagabend die Türen des Konferenzraumes im Haus des Bevollmächtigten der EKD in Berlin sich öffneten und der EKD-Auslandsbischof Martin Schindehütte, der Vorsitzende des Koordinierungsrates der Muslime, Erol Pürlü, der Dialogbeauftragte der Ditib, Bekir Alboga, und der Vorsitzende des Islamrates, Ali Kizilkaya, vor die Presse traten. Die Beteiligten lobten die offene und konstruktive Atmosphäre, in der das Gespräch stattgefunden habe – ohne dass Streitfragen verschwiegen worden wären.

Derzeit gibt es eine ganze Anzahl von christlich-muslimischen Dialogprojekten, erklärte der Auslandsbischof der EKD – nicht nur der Ökumenische Rat der Kirchen hatte praktisch zeitgleich zu einer internationalen christlich-muslimischen Konferenz nach Genf geladen, auch das Oberhaupt der anglikanischen Weltgemeinschaft, der Erzbischof von Canterbury, Rowan Williams, hatte Mitte Oktober hochrangige Vertreter des Christentums und des Islams nach England eingeladen, um über die Zukunft des interreligiösen Dialogs zu beraten. „Daran sieht man: Der christlich-muslimische Dialog nimmt an Reichweite und auch an Qualität zu“, so Schindehütte.

Es sei im Gespräch gelungen deutlich zu machen, dass in einem substantiellen Dialog nicht nur Gemeinsamkeiten, sondern auch Unterschiede benannt werden müssten – und diese im Geist des Friedens in Beziehung zueinander gesetzt werden sollten. „Die Klärung von Unterschieden ist ja gerade der Inhalt des Dialogs und kann nicht seine Voraussetzung sein. Der Ausgangspunkt des Dialogs ist die Differenz, die unterschiedlichen Ausgangspunkte bilden das Material des Dialogs.“ Dies könne zum Beispiel deutlich werden an der Kernthese des offenen Briefes „A Common Word“, den 138 muslimische Persönlichkeiten vor einem Jahr an führende Vertreter des Christentums gerichtet haben, dass die Liebe zu Gott und die Liebe zum nächsten die Religionen verbinde. „Was verstehen wir denn unter der Liebe Gottes?“ so der Auslandsbischof. Wenn man dies genauer betrachte, stelle man schnell auch Unterschiede im Gottesbegriff fest. „Aber das ist doch kein Grund, nicht miteinander zu reden – im Gegenteil.“

Auf dem Kirchentag in Köln im vergangenen Jahr hatte Bekir Alboga noch heftig mit dem EKD-Ratsvorsitzenden, Bischof Wolfgang Huber, über die EKD-Handreichung „Klarheit und gute Nachbarschaft“ gestritten. Ob nun plötzlich eitel Freude herrsche, wollte eine Journalistin wissen. „Nein“, sagte Alboga, „aber wir entwickeln uns im Dialog weiter. Zum Dialog gehört auch eine Streitkultur, und die pflegen wir.“ Im Gespräch hatten die muslimischen Vertreter noch einmal deutlich gemacht, dass sie nach wie vor Klärungsbedarf hinsichtlich der Handreichung sehen. „Wir wünschen uns Klarheit über die Klarheit“, formulierte Axel Ayyub Köhler, Vorsitzender des Zentralrates der Muslime. Der Ratsvorsitzende regte an, die Debatte um „Klarheit und gute Nachbarschaft“ in einer Neuauflage in Form eines Anhangs oder Kommentars aufzunehmen. Der Brief „A Common Word“ sei ebenfalls ein fruchtbarer Ausgangspunkt für weitere Gespräche. Das nächste Dialogprojekt steht jedenfalls schon fest: Vom 5. bis 6. Dezember veranstaltet die Evangelische Akademie Berlin zusammen mit der Muslimischen Akademie eine Tagung zu diesem offenen Brief. Aber auch die Tradition des jährlichen Spitzengesprächs zwischen EKD und muslimischen Verbänden soll fortgesetzt werden.

EKD-Text „Klarheit und gute Nachbarschaft“

Veranstaltung der Evangelischen Akademie zu Berlin "Gottesliebe und Nächstenliebe im Dialog" vom 5. bis 6. Dezember