Von Zauberlehrlingen und Wassermännern

Kinderbuchautor Otfried Preußler wird 85 Jahre alt - «Kinder brauchen Fantasie»

10. Oktober 2008


Sein wichtigstes Haustier ist ein «gefräßiger Papierkorb». Wie viele Geschichten darin ihr Ende fanden, kann Otfried Preußler heute nicht mehr sagen. Er hat die zerknüllten Manuskripte nie gerettet. Doch manchmal tat es seine Frau – und bescherte dem Schriftsteller damit gar einen seiner größten Erfolge: Das 1971 erschienene Jugendbuch «Krabat» verkaufte sich mehr als zwei Millionen Mal, wurde in über 30 Sprachen übersetzt und mit Auszeichnungen überhäuft. Am 20. Oktober wird Preußler 85 Jahre alt, und dieser Tage kommt «Krabat» in die Kinos. Kein Zufall, sondern eine «wunderbare Fügung», findet Preußler.

Zehn Jahre hat der Schriftsteller an seinem wohl düstersten Märchen gearbeitet. Die sorbische Volkssage um den Zauberlehrling Krabat und die schwarze Mühle faszinierten ihn schon im Alter von elf Jahren. Immer wieder habe er sich die geheimnisvolle Geschichte aus der Bibliothek seines Vaters geholt, einem Lehrer und Heimatforscher in der nordböhmischen Kleinstadt Reichenberg, dem heutigen Liberec in Tschechien. Hier wurde Preußler 1923 auch geboren.

Mit Sagen und Märchen ist der Schriftsteller groß geworden. Sein Vater und vor allem seine Großmutter bezeichnet er gerne als «lebendes Geschichtenbuch». Von ihnen, so glaubt der Autor, hat er das Talent als Erzähler geerbt. In seiner Kindheit bestand sein Publikum aus Freunden und Klassenkameraden, nach dem Krieg und der sowjetischen Kriegsgefangenschaft aus seinen Schülern in Rosenheim, die er bis 1970 als Grundschullehrer unterrichtete. «Meine Erzähl-Leidenschaft hat mir geholfen, eine Klasse von 52 Schülern zu bändigen», sagt Preußler, der bis heute in der Nähe von Rosenheim lebt.

Zu Hause schrieb er die Geschichten auf, die seiner Klasse und seinen drei Töchtern gut gefallen hatten. Als er Anfang der 50er Jahre für die Veröffentlichung seines ersten Buches einen Verlag suchte, teilte ihm der erste mit, er solle lieber Umweltbücher schreiben, der zweite ließ das Manuskript neun Monate lang liegen. 1956 erschien endlich «Der kleine Wassermann». Die Geschichten von der Wassermannfamilie, dem Karpfen Cyprinus und all den anderen Wasserwesen auf dem Grund des Mühlenweihers wurden auf Anhieb ein Erfolg. Preußler erhielt dafür den Deutschen Kinderbuchpreis.

Ein Jahr später veröffentlichte er «Die kleine Hexe», die bis heute zu den meist gespielten Stücken des deutschen Kindertheaters gehört. Die Idee dazu lieferten seine drei Töchter. Sie wollten eine genaue Erklärung zu Preußlers Behauptung, dass es heutzutage nur noch gute Hexen gebe. Den Durchbruch als Schriftsteller erlebte der Lehrer schließlich 1962 mit dem «Räuber Hotzenplotz» - einem Buch, das kaum entstanden wäre, hätte Preußler sich mit den Arbeiten am «Krabat» nicht so schwer getan. «Ich musste die Arbeit einstellen, hielt den Krabat für gescheitert - und schrieb aus lauter Verzweiflung darüber den Räuber Hotzenplotz.»

32 Bücher hat er bis heute veröffentlicht. Sie wurden weltweit rund 50 Millionen Mal verkauft, in 55 Sprachen übersetzt und zu unzähligen Hörspielen und Filmen gemacht. Obwohl Preußler damit zu den erfolgreichsten Kinder- und Jugendbuchautoren gehört, machte er die Schriftstellerei erst spät zu seinem Beruf. Bis heute rät der ehemalige Lehrer Autoren davon ab. Wenn Schreiben einziger Broterwerb sei, müssten die Texte zu schnell raus, meint er.

Die Vermarktungsstrategien und Werbekampagnen für die Kinderhelden unserer Tage sind Preußler fremd. Seine Fantasiewelten haben mit den gefährlichen Abenteuern Harry Potters und der Gefährten aus «Herr der Ringe» wenig gemeinsam. Zwar wird auch in seinen Geschichten gezaubert, gekämpft, gelitten und gelacht. Aber immer nimmt es ein gutes Ende.

Neben zahlreichen Auszeichnungen hat Preußler sich aber auch Kritik eingehandelt: Seine Bücher seien zu unkritisch und zu altmodisch für die Kinder des 21. Jahrhunderts, meinen einige. Preußler weist dies zurück: «Kinder sind in erster Linie Kinder»,sagt er. «Auch wenn heute von allen möglichen Seiten versucht wird, ihnen die Kindheit zu nehmen, indem man sie allzu früh mit den unbewältigten Problemen der Erwachsenen konfrontiert.» Nur mit Hilfe der Fantasie könne es ihnen gelingen, die Herausforderungen von morgen zu meistern.

Diese Überzeugung hat dem Schriftsteller eine Menge Leserpost beschert. Kinder aus aller Welt wollen mit Preußler über seine Figuren diskutieren oder suchen Rat bei ihm. Über 10.000 Briefe lagern mittlerweile in seinem Haus, gebündelt auf einer Länge von 40 Metern. Es ist wohl ein Zeichen der Wertschätzung, dass sie nicht in seinem «gefräßigen Papierkorb» gelandet sind. Denn Kinder, so sagt der 85-jährige Geschichtenerzähler, seien für ihn «das beste und strengste Publikum». (epd)

Otfried Preußler im Internet