Kein menschenleeres Land

Sehr offene und emotionale Diskussionen in Bern

17. September 2008


Das wichtigste Ergebnis ist, dass man sich überhaupt begegnet ist und die realistische Perspektive für einen weiteren Prozess besteht. Darin waren sich die rund 80 Teilnehmenden an der Konferenz „Das verheißene Land“, die vom 10.-14.September in Bern stattfand, einig. Vertreter und Vertreterinnen von verschiedensten Kirchen aus allen Teilen der Welt waren auf Einladung des Ökumenischen Rates der Kirchen (ÖRK), des Schweizer Evangelischen Kirchenbundes und der lokalen Kirche Berns zusammengekommen, um sich mit einem der durch den „Aufruf von Amman“ vom Juni 2007 gegebenen Arbeitsaufträge zu befassen.

In Amman hatten Kirchenvertreter beschlossen, auch theologische Aspekte, die mit dem Nahostkonflikt zusammenhängen, zu bearbeiten. Neben praktischen Maßnahmen wird auch dies als Schritt zur Beendigung des Konfliktes im Heiligen Lande und als genuin christlicher Beitrag gesehen. Daher war der Anteil der Theologen und  Theologinnen aus dem Nahen Osten an der Berner Konferenz besonders hoch. Ihrer Situation, aber auch den theologischen Konsequenzen, die sie daraus ziehen, sollte in besonderer Weise Gehör verschafft werden.

Ist die Begegnung mit Theologen aus dem Nahen Osten und die Wahrnehmung von deren Ansichten allein schon ein Erfolg? Dies erscheint auf den ersten Blick als wenig originell und kaum greifbar. Jedoch zeigte die zum Teil sehr emotional und kontrovers geführte Debatte, wie weit der Weg noch ist, der gegangen werden muss, bis man zu einer Position der Kirchen kommt, die zumindest grob als einig beschrieben werden kann. Das gegenseitige Verständnis für theologische Zugänge und Lösungsmodelle braucht Zeit. Daher zählen auch „kleine Schritte“.

Und das Element Zeit macht gerade die Diskussion schwierig. Denn in Bern wurde deutlich, wie unterschiedlich die Kirchenvertreter und Kirchenvertreterinnen aus verschiedenen Regionen die Entwicklungen wahrnehmen. Protagonisten der nahöstlichen Kirchen wie etwa Elias Chacour oder Mitri Raheb klagten über eine gewisse „Müdigkeit“, weil sie seit über 30 Jahren versuchen, Akzeptanz für ihre theologischen Positionen zu finden. Ihr Engagement für kontextuelle Zugänge zur biblischen Botschaft leidet darunter, dass für die Christen in Nahost die Zeit rast, ja ihnen wegläuft: Mit einem dramatischen Tempo schrumpft die Zahl der Christen in der Region, in den palästinensischen Gebieten zählen sie kaum mehr 1,5 Prozent der Bevölkerung. Hinzu kommt das alltägliche Leiden der Menschen unter wirtschaftlicher Not und Gewalt.

Aus dieser Perspektive erscheinen Fortschritte im theologischen Diskurs ernüchternd gering. Zuversichtlicher dagegen äußern sich viele Vertreter und Vertreterinnen aus anderen Weltregionen. Da sie nicht direkt den Druck verspüren, „ticken“ ihre „Uhren“ langsamer, daher sind Veränderungen deutlicher wahrnehmbar. Das Verständnis für den Zusammenhang von Theologie und Kontext – insbesondere in Bezug auf den Nahen Osten, aber auch bezüglich des jeweils heimischen Kontextes – wächst. So konnten Konferenzteilnehmer etwa aus den Niederlanden und Deutschland eingestehen, dass zu oft in der westlichen Theologie über das Heilige Land nachgedacht und gesprochen wurde, als sei es ein Land ohne Menschen.

Dass das theologische Lernen aber in beide Richtungen gehen muss, betonten ebenso zahlreiche Konferenzteilnehmer. Nicht alles an traditionellen und bestehenden theologischen Positionen und Modellen sei schlecht, nicht jede theologische Einsicht lässt sich als kontextuell relativieren. Und so waren es auch nicht nur deutsche Teilnehmende, die sich dafür aussprachen, im weiteren Prozess auch jüdische und muslimische Gesprächspartner zu berücksichtigen.

Einig war man sich am Ende, dass Theologie sensibler betrieben und formuliert werden muss, da sie nicht ohne konkrete Konsequenzen bleibt. Ein libanesischer Theologe fasste diese Einsicht in Worte: „Was und wie du etwas sagst, betrifft und trifft mich.“

Vollständiger Text der "Berner Perspektiven" (auf Englisch)