Gottesdienste in der Scheune

Für die Deutschsprachigen in Namibia ist ihre Kirche ein kultureller Rückzugsraum

12. September 2008


Wenn Roland Ressmann am Sonntagmorgen seinen Gottesdienst hält, dann haben er und viele seiner Besucher oft schon ein paar hundert Kilometer Autofahrt hinter sich. Denn der Deutsche versorgt neun Pfarrbezirke der deutschsprachigen Evangelisch-Lutherischen Kirche in Namibia, von Okahandja im Norden der Hauptstadt Windhuk bis in die Wüste der Kalahari. "Das entspricht dem Gebiet von Schleswig-Holstein und Niedersachsen zusammen." Ständig ist Ressmann unterwegs, eine Art "Wanderzirkus" nennt er seine Arbeit.

5.200 Mitglieder hat die einzige deutschsprachige Kirche in Namibia, die meisten sind Nachfahren der deutschen Einwanderer, die zwischen 1884 und 1915 in die damalige Kolonie Deutsch-Südwestafrika kamen. Heute sind sie Namibier. Viele leben hier bereits in vierter oder fünfter Generation und sind über das riesige Land verstreut. Um die Bauernfamilien zu erreichen, veranstalten Landpfarrer wie Ressmann sogenannte Farmgottesdienste: "Da wird dann alles zur Kirche - die Scheune, das Wohnzimmer, der schattige Platz unter einem Baum." Mit Kaffee, Kuchen und Gesprächen kann so ein Gottesdienst auch schon mal bis in den Abend gehen.

Denn für die deutschsprachigen Namibier ist die Kirche nicht nur eine Angelegenheit des Glaubens. "Für viele ist das eine der seltenen Gelegenheiten, sich auf Deutsch zu unterhalten", sagt Pfarrerin Katharina Lotz, die gemeinsam mit ihrem Mann die Pfarrbezirke im äußersten Norden abdeckt. "Ich habe erst hier begriffen, wie schnell eine Sprache aussterben kann." Oft reiche es schon, dass die jüngste Generation nicht mehr auf eine deutschsprachige Schule gehe. "Das klingt erstmal so toll: Die Kinder lernen schon früh Englisch, aber mit der deutschen Sprache verschwindet hier auch eine ganze Kultur."

In Namibias Schulen wird Deutsch heute nur noch als Fremdsprache unterrichtet. Staatssprache ist Englisch. Viele sprechen außerdem noch Afrikaans, ein Erbe der südafrikanischen Besatzung, die erst 1990 mit der Unabhängigkeit Namibias endete. Viel Wert legen die Pfarrer deshalb auf Jugendfreizeiten und Konfirmandenunterricht, kleine Freiräume, in denen die Muttersprache benutzt werden kann.

Solche Angebote funktionieren in einer kleinen Kirche wie der namibischen nur mit tatkräftiger Hilfe der Gemeindemitglieder. Die gibt es reichlich, freut sich Ressmann: "Ich habe in keiner deutschen Gemeinde eine derartige sozialdiakonische Kompetenz erlebt wie hier." Einen Kindergarten, eine Volksschule und ein Altersheim betreibt etwa die Gemeinde in Otjiwarongo, einem 12.000-Seelen-Nest zwischen Windhuk und dem Etosha-Nationalpark im Norden - im Alleingang.

Manchmal führt das Engagement auch zu überraschenden Ergebnissen. Wie vor etwa zehn Jahren, als die Konfirmandin Claudia Adrian in der Illustrierten "Frau im Spiegel" las: Eine Trierer Gemeinde hatte eine Kirchenglocke zurückgewiesen, die das Unternehmen Underberg gespendet hatte. "Claudia hat sich gedacht: Unsere Kirche hat keine Glocke, gebt sie uns - und hat im Alleingang einen Brief geschrieben", erzählt Ursel Fuchs, die Gemeinderatsvorsitzende in Otjiwarongo. Der Pfarrer staunte nicht schlecht, als ihn kurz darauf vollkommen unerwartet ein Brief erreichte, in dem ihm die Firma eine neue Glocke versprach. Im Juli 1999 wurde sie geweiht.

Dass es für die deutschsprachigen Gemeinden in Namibia so weitergehen kann wie bisher, glaubt hingegen trotz allen Engagements der Mitglieder niemand. Fast eine Million Menschen - die Hälfte aller Namibier - sind Mitglied der beiden anderen, englischsprachigen lutherischen Kirchen. Eine vor einem halben Jahr gegründete gemeinsame Kirchenleitung soll die Vorstufe zu einer Vereinigung sein. Nach Jahrzehnten der Trennung als Folge der Apartheid bietet die neue Zusammenarbeit Chancen zur Versöhnung, hofft Bischof Zephania Kameeta von der Evangelisch-Lutherischen Kirche in der Republik Namibia: "Nur wenn wir Angst haben, zurückzublicken, ist es schwierig, gemeinsam in die Zukunft zu gehen."

Auf diesem Weg hoffen die deutschsprachigen Gemeinden auf Begleitung der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD). In kein Land der Welt entsendet die EKD derzeit so viele Auslandspfarrer wie nach Namibia. Als jetzt eine Delegation des Rates der EKD nach Otjiwarongo kam, gab Ursel Fuchs dem EKD-Ratsvorsitzenden Wolfgang Huber eine klare Botschaft mit auf den Weg: "Wir hoffen, dass die EKD ihre Bande zu uns nicht lösen wird - wir brauchen Sie." (epd)

Evangelisch-lutherische Kirche in Namibia (DELK)