Von Mutter zu Mutter

Im Stadtteilmutter-Projekt des Diakonischen Werks erhalten Migrantinnen Unterstützung im Alltag

25. August 2008


Auf dem Couchtisch stehen Plätzchen bereit, Kaffeeduft erfüllt das Wohnzimmer: Erma Andreeva hat Besuch von Stadtteilmutter Silviya Mauer. Beide Frauen stammen aus Bulgarien und leben jetzt in Berlin-Neukölln. Während die Gastgeberin fast kein Deutsch spricht, beherrscht Silviya Mauer die Sprache fließend; sie ist schon seit sechs Jahren hier. Die 29-Jährige holt einen Stapel Broschüren zum Thema Ernährung aus ihrer rot-weißen Umhängetasche.

Silviya Mauer ist eine Stadtteilmutter - ihr Erkennungszeichen ist ein rotes Tuch, das sie heute über ihrer weißen Bluse trägt. Eine von 140 Müttern mit Migrationshintergrund, die das Diakonische Werk Neukölln seit 2004 zu anderen ausländischen Müttern im Stadtteil schickt - rund 1.200 Familien, vor allem aus dem türkischen und arabischen Kulturkreis, haben sie bislang beraten.

"Biomilch kostet beim Discounter weniger als teure Markenmilch und ist viel besser als normale Milch", erklärt Silviya Mauer auf Bulgarisch. Frau Andreeva hat ihre elf Monate alte Tochter Arzu auf dem Schoß und hört aufmerksam zu. "Das wusste ich nicht", antwortet die 29-Jährige, die mit ihrem Mann und zwei Kindern seit eineinhalb Jahren in der Hauptstadt lebt. "Ich dachte immer, Bio sei einfach auch nur eine Marke."

Zehn Mal besuchen die speziell geschulten Frauen, die selbst Kinder haben, die Familien. Jedes Mal steht ein anderes Thema auf dem Programm, von Sprachentwicklung über Medienerziehung bis zu den Rechten von Kindern. Dabei informieren sie die Mütter, warum ihre Kinder davon profitieren, wenn sie zweisprachig aufwachsen und wie sie eine Hebamme finden. Sie raten ihnen, ihren Nachwuchs in den Kindergarten zu schicken, oder erklären, wie man Eltern- oder Kindergeld beantragen kann. Das Ziel: die Integration der Familien voranzubringen.

Migranten beraten Migranten auf Augenhöhe, so lautet das Konzept. Weil sie die gleiche Muttersprache sprechen und die Schwierigkeiten der Integration selbst kennengelernt haben, gelingt es den Stadtteilmüttern, das Vertrauen der Frauen zu gewinnen. "So schaffen wir es, den Fuß in Familien zu bekommen, was deutschen Sozialarbeitern häufig nicht gelingt", sagt Projektleiterin Maria Macher.

Das Stadtteilmutter-Projekt wurde zuerst für das Quartiersmanagementgebiet der Schillerpromenade entwickelt. In dem Kiez im Nordwesten Neuköllns haben mehr als ein Drittel der 30.000 Einwohner keinen deutschen Pass. Nicht einmal die Hälfte der Kinder unter zehn Jahren besuchen einen Kindergarten oder eine andere Betreuungseinrichtung. Viele Migrantenfamilien dort seien "mit ihrem Erziehungsauftrag überfordert", heißt es in einem Projektbericht.

Um die Erziehungskompetenz der Familien zu stärken und für einen frühen Kitabesuch zu werben, wurden anfangs zwanzig Stadtteilmütter sechs Monate lang geschult. Als Vorlage diente ein niederländisches Projekt, das sich auf Sprachförderung konzentriert. In Berlin entschied man sich, das Angebot auszuweiten.

Die Arbeit der Stadtteilmütter im Schiller-Kiez stieß auf große Resonanz und wurde auf andere Quartiere ausgeweitet. Seit 2006 fördern Bezirk, Senat und das Jobcenter das Projekt. Doch Ende des Jahres läuft es aus. Ob und wie die Stadtteilmütter dann weiter arbeiten können, stehe noch nicht fest, sagt Maria Macher.

30 Stunden in der Woche berät Silviya Mauer vorwiegend bulgarische Mütter, beantwortet Fragen, hilft bei Behördenangelegenheiten. Als Erma Andreeva nach Berlin kam, kannte sie weder ihre Rechte noch ihre Pflichten. So ging sie ein Jahr lang nicht mit ihrem achtjährigen Sohn zum Arzt, weil sie nicht krankenversichert war. Weil sie kein Deutsch spricht, war sie wie viele andere ausländische Mütter nicht in der Lage, sich selbst zu informieren oder Beratungsstellen aufzusuchen.

Von den Stadtteilmüttern hatte sie von Nachbarn erfahren - Silviya Mauer kennt im Haus der Andreevas in der Sonnenallee ein halbes Dutzend bulgarische Familien. "Das Interesse an meiner Arbeit ist groß", sagt sie.

Auch die Stadtteilmütter selbst profitieren: Sie lernen für die Erziehung ihrer eigenen Kinder hinzu und genießen große Anerkennung. Am meisten freut Silviya Mauer sich darüber, dass Erma Andreeva jeden Freitag zum Frauen-Frühstück kommt. "Durch solche Angebote versuchen wir, den Kontakt auch nach den Hausbesuchen weiter aufrechtzuerhalten", erklärt Projektleiterin Macher.

Inzwischen hat Familie Andreeva mit Hilfe der Stadtteilmutter vieles geregelt: Der Ehemann hat das Reinigungsgewerbe, das er betreibt, angemeldet. Die Familie erhält Kindergeld, und Frau Andreeva weiß, dass ihr Sohn nicht einfach die Schule schwänzen darf, nur weil er ihr bei einem Behördengang beim Übersetzen helfen muss. "Das hätten wir ohne unsere Stadtteilmutter nie geschafft", sagt Erma Andreeva. "Ich fühle mich jetzt viel sicherer." (epd)