Mit Tempo 60 in den Reformprozess

349 Mitglieder hat der Weltkirchenrat

21. August 2008


1948 wurde der Ökumenische Rat der Kirchen angesichts der äußeren Krise des Weltkriegs gegründet. Heute scheinen eher innere Krisen für die Organisation bestimmend zu sein. Doch manchmal täuscht der erste Blick.

60 Jahre – das ist ein Zeitmaß. Das italienische Wort dafür ist Tempo. Wenn der Ökumenische Rat der Kirchen (ÖRK) sich am 23. August seines 60. Gründungstages erinnert, ist es also nicht falsch, sein Tempo zu beachten.

Als 1948 in Amsterdam der ÖRK gegründet wurde, geschah dies vor dem Hintergrund des 2.Weltkriegs: Die Kirchen reagierten auf das Versagen von internationalen politischen Verhaltensregeln und die Verachtung selbst einfachster ethisch-moralischer und religiöser Grundwerte. Ähnlich wie die Staaten mit der UNO eine Organisation gründeten, um sich untereinander zu verständigen und die Zusammenarbeit zu verstärken, schlossen sich 147 Kirchen aus 44 Ländern zu einer Art „Kirchen-Völkerbund“, einem Weltkirchenrat zusammen. Ziel war nicht eine neue „Superkirche“ zu formen, sondern eine Plattform zu schaffen, um Gemeinsamkeiten der Kirchen zu stärken und Unterschiede besser verstehen zu lernen.

Kalter Krieg und Entkolonialisierung, Rassismus und Geschlechtergleichberechtigung, die Frage von Frieden und Gerechtigkeit – dies sind nur einige der großen Themen, mit denen sich der Weltkirchenrat in den Jahren seines Bestehens beschäftigte - und nicht selten dabei rang und stritt. Trotz aller Auseinandersetzungen der verschiedenen Kirchen und ihrer unterschiedlichen Traditionen und Erfahrungen untereinander, trotz aller Kritik an den Kirchen von außen ist der ÖRK dabei dennoch eine für viele Christen attraktive und daher wachsende Gemeinschaft. 349 Mitglieder hat der Weltkirchenrat inzwischen. Auf der jüngsten Tagung des Zentralausschusses, eines der Leitungsgremien des Rates, wurden zwei Kirchen aus Kuba und Laos aufgenommen.

Trotz dieser großen Mitgliederzahl kann der ÖRK nur für einen Teil der Weltchristenheit sprechen. Hauptsächlich sind es protestantische Kirchen verschiedenster Prägung, sowie orthodoxe und orientalische Kirchen, die die Gemeinschaft bilden. Vielen kleineren und kleinsten Kirchen ist die Mitgliedschaft nicht möglich. Vor allem aber gehören die römisch-katholische Kirche und viele Kirchen aus dem evangelikalen, charismatischen und pfingstlerischen Spektrum nicht dem ÖRK an. Allerdings sind viele Nicht-Mitgliedskirchen dennoch in die ÖRK-Arbeit eingebunden, indem sie in ein- oder angegliederten Gremien, etwa in der Bewegung für Praktisches Christentum oder der Weltmissionskonferenz, mitarbeiten.

Neben dem sozial-politischen Engagement steht auch der diakonische Einsatz und die Bildungsarbeit des in Genf beheimateten Rates. Vor allem aber ist die theologische Diskussion ein unverzichtbares Standbein der Gemeinschaft. Mission und Inkulturation, das Verständnis der Tauf und das Wesen der Kirche sind nur einige der Themen, mit denen sich Vertreter der Kirchen aus aller Welt beschäftigten und auch weiterhin befassen. Dabei begegnen sich Menschen aus unterschiedlichen Kulturen und Glaubenstraditionen, aus verschiedenen gesellschaftlichen und politischen Kontexten.

Die Welt hat sich seit der ÖRK-Gründung verändert. Und mit ihr die Kirchen. Angesichts dessen sind manche der Meinung, der ÖRK habe mit seinem 60. „Geburtstag“ sein Ruhestandsalter erreicht und könne, ja solle die Arbeit einstellen und zum Stillstand kommen. Die Konflikte zwischen konservativen und liberalen Kirchen, die Spannungen zwischen den Kirchen des Nordens (und Westens) und des Südens (und Ostens), das Gegenüber von gesellschaftspolitischem Einsatz und spiritueller Weltzurückgezogenheit, die Uneinigkeit über zumindest die Respektierung Frauenordination oder moralische Fragen drohen den ÖRK zunehmend zu lähmen und „auszubremsen“, wenn nicht gar zu zerreißen. Selbst die Gebetsgemeinschaft scheint mehr und mehr verloren zu gehen.

„Wenn die EKD über Veränderungen berät, spricht man zuversichtlich von einem Reformprozess, wenn der ÖRK vor Veränderungen steht aber abwertend von Krise.“, bedauert eine Delegierte des Zentralausschusses. Überzeugt verweist sie auf erfolgreiche Programme des ÖRK, die weltweit Anerkennung finden, etwa die Bemühungen um einen gerechten Frieden in Nahost oder die Dekade zur Überwindung von Gewalt. Mit dem zunehmenden Klimawandel erhält das Engagement des Weltkirchenrats für die Bewahrung der Schöpfung neuen Impetus. Der interreligiöse Dialog entwickelt sich zunehmend zu einem Arbeitsfeld, in das die Mitgliedskirchen vielfältigste Erfahrungen und Kompetenzen einbringen können. „Und immerhin hat der Zentralausschuss nach einer achtstündigen Klausursitzung einen Lösungsweg für das Problem gefunden, dass der Generalsekretär Sam Kobia sich überraschend nicht zur Wiederwahl gestellt hat.“, betont die Delegierte unter Hinweis der Vitalität des ÖRK: „Welcher anderen Weltorganisation gelingt schon solch ein Krisenmanagement?“

Intensiv wird unter den Mitgliedskirchen daran gearbeitet, wie der Weltkirchenrat für die orthodoxen Kirchen wieder mehr an Verbindlichkeit gewinnen kann. Der Ökumenische Patriarch von Konstantinopel, Bartholomaios, hat sich in einer Predigt im Rahmen eines Festgottesdienstes jüngst deutlich zum ÖRK bekannt. Das eingeführte Konsensprinzip mag noch zu oft schwerfällig und ungewohnt sein, hat bisher aber durchaus zu Beschlüssen geführt. Und mit dem „Global Christian Forum“ und dem Mutirão-Konzept öffnet sich der Weltkirchenrat auch Nichtmitgliedern.

In der Schnelllebigkeit der heutigen Zeit mag Tempo 60 vielen als gemächlich, ja behäbig erscheinen. Veränderungen und Neuerungen mögen nach 60 Jahren unumgänglich sein, um den ÖRK „am Laufen“ zu halten. Und doch ist der Weltkirchenrat nicht schwunglos. Denn streng genommen, gewinnt er Jahr um Jahr an Tempo.