Kehrtwende einfordern

Wer bei den Menschenrechten nicht wegsieht, kann auch beim olympischen Sport hinsehen

07. August 2008


Am Freitag wird der chinesische Staatspräsident Hu Jintao die 29. Olympischen Spiele eröffnen. Vom 8. bis zum 24. August findet mit den Olympischen Sommerspielen in Peking das weltgrößte Sportereignis statt. Das Team des Deutschen Olympischen Sportbundes nimmt mit 439 Athletinnen und Athleten daran teil. Im Vorfeld sind immer wieder die Menschenrechte angesprochen worden, besonders intensiv im Zusammenhang mit Tibet. Inzwischen ist allerdings die Diskussion über einen möglichen Boykott abgeflaut. Doch auch so bleibt einiges aus kirchlicher Perspektive zu den Olympischen Spielen zu sagen.

Kommentar von Vicco von Bülow

Mittendrin im deutschen Team sind die beiden Olympiapfarrer der evangelischen und der katholischen Kirche. „Mittendrin“ heißt auch die Broschüre, die die beiden im Gepäck haben. In ihr finden sich biblische Geschichten, Gebete und Meditationen für die Sportlerinnen und Sportler. Ihnen wünschen der Ratsvorsitzende der EKD, Bischof Wolfgang Huber, und der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Erzbischof Robert Zollitsch, nicht nur sportliche Erfolge, sondern auch, dass sie den olympischen Geist spüren.

Dabei hat es der olympische Geist manchmal schwer: Seit den ersten Olympischen Spielen der Neuzeit 1896 hat vor allem die Kommerzialisierung des Sports viel verändert. Das durch eine „Null-Toleranz-Politik“ kaum zu kontrollierende Doping-Unwesen ist ebenso problematisch wie eine Reduzierung der sportlichen Leistung auf die ersten drei Medaillenplätze.

Und dann sind da die Menschenrechte, zu denen China eine aus unserer Perspektive problematische Haltung hat. Dazu gehören auch die Einschränkungen in der Meinungs-, Presse- und Religionsfreiheit. Landesbischöfin Margot Käßmann hat mit einer symbolischen Aktion auf den Zusammenhang von Menschenrechten und Olympia hingewiesen: Sie verschenkt schwarze Silikon-Armbänder mit einem Zitat aus dem 85. Psalm: „... dass Gerechtigkeit und Friede sich küssen - Olympia 2008“ als Geste der Solidarität mit unterdrückten Menschen in Tibet und China. Über 210.000 dieser Armbänder sind angefordert worden.

Als Vorsitzende des Evangelischen Missionswerks hat Bischöfin Maria Jepsen eine verengte westliche Sichtweise kritisiert: Es dürfe nicht der Eindruck entstehen, dass China nicht berechtigt sei, die Olympischen Spiele auszutragen. Und so gilt auch für die Frage nach einem Boykott der Spiele: Ein solcher Boykott hätte letztlich den Sportlern geschadet, die Menschenrechtslage kaum verbessert und die Verantwortung von Politik, Wirtschaft und Gesellschaft abgelenkt. Das heißt nicht, dass die Menschenrechtsfrage verschwiegen werden sollte - im Gegenteil: Der Sport ist keine politikfreie Zone. Man sollte die Olympischen Spiele nutzen, um zu den Menschenrechten zu sprechen und diese einzufordern. Wer bei den Menschenrechten nicht wegsieht, kann auch beim olympischen Sport hinsehen, ohne deshalb ein schlechtes Gewissen zu haben.

Und dann kann der Sport auch einfach nur um seiner selbst willen anerkannt werden. Den Sport für politische oder soziale Ziele zu verzwecken, schadet ihm, so der Publizist Stefan Chatrath: „Der eigenständige Wert des Sports als gesellschaftlich-kulturelle Errungenschaft geht so verloren. Der Sport soll ‚mehr‘ als einfach nur Sport sein und verliert genau dadurch seine ihm eigene Qualität, wird letztlich ‚weniger‘, weil weniger wichtig.“

Theologisch gesehen hat der Sport tatsächlich eine besondere Bedeutung - ohne deshalb schon gleich „Religion“ zu sein. Auch für die Olympischen Spiele 2008 (und für die direkt anschließenden Paralympics nicht minder) gilt das evangelische Motto anlässlich der Fußball-WM 2006: Sport ist „ein starkes Stück Leben“ - nicht weniger, aber auch nicht mehr.

Vicco von Bülow ist Oberkirchenrat und Referent für Theologie und Kultur im Kirchenamt der EKD und Geschäftsführer des „Arbeitskreises Kirche und Sport in der EKD“