Wenn es doch alle tun …

Von Prof. Gerhard Wegner, Leiter des Sozialwissenschaftlichen Instituts der EKD

24. Juli 2008


Wenn „die da oben“ sich bereichern – womöglich noch illegal - ist die Empörung groß. Zu recht. Aber dass in manchen deutschen Unternehmen die Zahlung von Bestechungsgeldern jahrelang geradezu zur Unternehmenskultur gehörte, gerät darüber leicht aus dem Blick. „Sagen Sie doch gleich, dass Sie mit Russland und China keine Geschäfte mehr machen wollen!“ so bekam ich kürzlich zu hören, als ich kritisch über Korruption diskutierte. Und Siemens ist nicht deswegen in der Bredouille, weil sich einige Kollegen persönlich bereichert hätten, sondern weil viele im Interesse des Unternehmens, ja zur Erhaltung der Arbeitsplätze, Gelder in fremde Taschen geschoben haben. Lange Zeit waren diese Summen sogar noch steuerlich absetzbar und die Praxis deswegen vollkommen legal. Andernfalls hätten die deutschen Unternehmen – so wird argumentiert - auf den Weltmärkten Wettbewerbsnachteile gehabt. Weil es doch alle tun … Und auch heute zahlt man an den Grenzen und bei Behörden in fremden Ländern „Beschleunigungsgelder“ – das sei dort so üblich; und wiederum: das täten ja alle anderen auch.

So ist das immer: Wenn es doch alle tun – dann wäre ich doch dumm, wenn ich mich als einziger anständig verhalten würde. Das war selbst so, als sich die Kollegen aus dem VW-Betriebsrat auf Firmenkosten vergnügten. Wenn da nur einer gewesen wäre, der sich geweigert hätte, mitzumachen: „Ich verpfeife Euch nicht – aber Ich mache nicht mit!“ Dann wäre wenigstens ein wenig deutlich geworden, dass die Sache nicht in Ordnung ist. Dann wäre da einer gewesen, der zeichenhaft darauf hingewiesen hätte, dass man sich durch solche Praktiken schuldig machen kann.

Von Schuldfähigkeit wird in wirtschaftlichen Zusammenhängen ungern geredet. Und doch liegt es auf der Hand, dass verantwortlich nur handeln kann, wer etwas um die eigene Schuld, der man nicht entkommen kann, weiß. Nicht umsonst weist deswegen die neue Denkschrift des Rates der EKD „Unternehmerisches Handeln in evangelischer Verantwortung“ darauf hin, dass nach wie vor die Zehn Gebote und die Grundlagentexte der Bibel die beste ethische Richtschnur für Unternehmer und Manager sind. Zu viel Kasuistik lenkt nur von der eigentlichen ethischen Bewährung ab und erweckt den Eindruck, man könnte sein Gewissen durch das Abhaken von Punkten in einem Compliance-Katalog salvieren. Und wer gar nur deswegen ethisch anständig ist, weil er meint dadurch mehr Geld verdienen zu können als anders, der hat ebenfalls sein Gewissen längst abgeschaltet. 

Der große Dichter Theodor Storm hat pointiert zum Ausdruck gebracht, worauf es ankommt:  „Der eine fragt: Was komm danach? Der andre fragt nur: Ist es recht? Und also unterscheidet sich der Freie von dem Knecht.“ Die alltäglichen ethischen Grauzonen, in denen nicht völlig eindeutig ist, was gut oder böse ist, wird es gerade in der Wirtschaft immer geben. Moralismus ist deswegen fehl am Platz. Aber jeder sollte wissen, was er tut. Was wir brauchen sind Menschen, die über genügend innere Freiheit verfügen, um überhaupt auf die Stimme ihres Gewissens hören zu können. „Nicht mit mir!“ – das zu sagen kann in der Situation etwas kosten, vielleicht sogar mal einen Auftrag. Auf die Dauer kann es aber Vertrauen aufbauen. Und das braucht die Wirtschaft dringend wieder.