Pilgern durch Watt und Wasser

Gemeinde bietet spirituelle Wanderungen von Amrum nach Föhr an

21. Juli 2008


Mitten im Nordsee-Watt singt die kleine Pilgergruppe "Der Himmel geht über allen auf" - und es scheint, als ob der Regen tatsächlich ein wenig nachlässt. Vom verlorenen Paradies hören sie und von den neuen Wegen im Leben, ehe sie weiter gehen auf ihrem Weg von Amrum nach Föhr.

In ganz Deutschland werden derzeit neue Pilgerwege entdeckt. Eine spirituelle Wanderung von einer Nordsee-Insel zur anderen ist da schon etwas besonderes: Niemand kann am Anfang sagen, ob er auch ankommt. Seit zwei Jahren bietet die katholische Gemeinde Föhr im Sommer Pilgerwanderungen durchs Watt an.

Auftakt ist eine Andacht in der kleinen Amrumer Kirche. Das Paradies sei nicht nur ein vergangener Ort aus der biblischen Geschichte, sondern auch heute ein Ort der Sehnsucht, sagt Gemeindereferentin Beate Kaltenbach. Doch der Strand von Amrum ist an diesem Tag kein Paradies - es gießt in Strömen. Die rund 30 Urlauber und Helfer aber lassen sich davon nicht abschrecken.

Doch immer noch ist nicht klar, ob die Pilger ihr Ziel auch erreichen werden. Föhr liegt zum Greifen nah, aber durch das Watt fließt ein "Priel", wie die Wattflüsse heißen. Vor 30 Jahren, erinnert sich Wattführerin Karin Graf, wurden nur die Waden nass. Heutzutage muss manche Wanderung abgebrochen werden. Die Schiffe wirbeln den Wattboden auf, und bei ungünstigem Wind sind die Priele dann zu tief.

Punkt 11.50 Uhr geht es los, um die Zeit der Ebbe zu nutzen. "Hätten wir Mose dabei, würde sich das Meer jetzt teilen," feixt einer. Doch nichts passiert. Also werden die Kinder auf die Schultern gehoben und die Fotoapparate wasserdicht verpackt. Fast alle haben Badesachen untergezogen. Kleineren Menschen wie Beate Kaltenbach geht das Wasser bis über den Bauchnabel, aber alle kommen durch. Von unten sind alle nass, aber dafür hat der Regen nachgelassen.

Immer wieder werden Pausen eingelegt. "Schweige und höre" singt die Gruppe begleitet vom Schrei der Möwen. Die biblische Schöpfungsgeschichte erzählt vom Wasser als Ursprung des Lebens, Noahs Sintflut dagegen von der Bedrohung durch das Meer. Kaltenbach: "Gott ist auch im Unglück bei uns." Der Regenbogen sei das Zeichen für die Vielfalt der Schöpfung. Dazu zeigt Wattführerin Karin Graf Wellhornschnecken, Austern und Herzmuscheln.

Auch wenn das Watt so glatt und eben wirkt, ist es doch ständig in Bewegung. Die Reihe von Pfählen im Boden stammt von einem Schiff, das bei der großen Sturmflut im Februar 1825 untergegangen war. Jetzt kommt es langsam wieder zum Vorschein und erinnert an die tödliche Gewalt des Meeres.

Was per Luftlinie nur ein kurzer Spaziergang wäre, dauert am Ende vier Stunden. Nach einer großen Schleife erreicht die Gruppe das Ufer von Föhr. Die Sonne traut sich vorsichtig hervor. Jacken und Hosen sind wieder trocken und manch einer vermisst schon die Sonnen-Creme. Die Zeit des Schweigens endet, die Gespräche werden lebendiger.

Er fühle sich hier der Schöpfung näher als im Alltag, sagt Heinz-Gerhardt Halberstädt, Urlauber aus dem Taunus. Eine solche Weite würde er sonst nie erleben. Die biblischen Impulse hätten gut getan. "Ein frisches Gefühl." Corinna Kaltbeitze aus Mettmann bei Düsseldorf macht seit Jahren Urlaub auf Föhr. Die persönliche Nähe in der Gruppe hat ihr besonders gefallen. Es sei ein Gemeinschaftsgefühl, wie es bei anderen Aktivitäten nicht vorkommt.

Theodor Haske ist für zwei Wochen Urlaubspfarrer auf Amrum. Für den pensionierten Seelsorger aus dem Sauerland ist es die erste spirituelle Wattwanderung. Man gehe besinnlicher, sagt er. Es sei ihm wieder einmal deutlich geworden, wie schutzbedürftig der Mensch sei. Aber auch kritische Stimmen melden sich. Dem vierjährigen Simon aus Wuppertal war die Wanderung zu lang. Auch hatte er zwischendurch Sorge, dass die Flut wieder kommt. Simon: "Und das Wasser war auch zu kalt." (epd)