Erinnerung an Mose

Grabstein für das im Januar verstorbene Kind

16. Juli 2008


Als der eine damals geboren wurde, galt eine Regel - von oberster Stelle ausgegeben: „Alle Söhne, die geboren werden, werft in den Nil, aber alle Töchter lasst leben.“ Drei Monate lang hat ihn seine Mutter verborgen, ruhig gehalten - aber dann war er nicht mehr zu verstecken. Doch die Mutterliebe war stärker als der Gehorsam gegen die Regel des Pharaos: „Als sie ihn aber nicht mehr länger verbergen konnte, machte sie ein Kästlein von Rohr und verklebte es mit Erdharz und Pech und legte das Kind hinein und setzte das Kästlein in das Schilf am Ufer des Nils.“ Dort wurde Körbchen und Kind gefunden. Weil es die Tochter des Pharaos war, die das Körbchen gefunden hatte, überlebte der Junge, „und sie nannte ihn Mose; denn sie sprach: Ich habe ihn aus dem Wasser gezogen“.

Das ist der Anfang einer Geschichte, die ein gutes Ende nahm: Aus Mose wurde ein junger Mann, er begegnete Gott in einem brennenden Dornbusch und befreite – von Gott in dieses Amt berufen – sein Volk aus der Gefangenschaft in Ägypten. Wenn man so will, der Beginn des Volkes Israel und der Beginn der Beziehung Gottes zu seinem ausgewählten Volk.

Auf dem Stöckener Friedhof in Hannover ist ein kleines Grabmal, in dem ein Bildhauer die Rettungsgeschichte des biblischen Mose nachempfunden hat: der Name „Mose“ ist in die Sandsteinplatte gemeißelt und daneben steht „im Januar 2008“. Das Ende einer Geschichte, die ganz und gar nicht glücklich verlaufen ist: Am 2. Januar wurde der Säugling in ein Handtuch gehüllt in einer Stofftasche tot vor dem „Babykörbchen“ des Friederikenstiftes in Hannover entdeckt. In einem Gräberfeld für totgeborene Kinder des Stöckener Friedhofes hat dieser unbekannte Leichnam seine letzte Ruhe gefunden. Landesbischöfin Margot Käßmann hat dem unbekannten Jungen den Namen „Mose“ gegeben. Jetzt erinnert ein Grabmal des Bildhauers Uwe Spiekermann an ihn.

"Mir ist wichtig, dass dieses Kind in unserer Obhut ein würdiges Grab hat", sagt die hannoversche Landesbischöfin als der Grabstein aufgestellt wird. Der Tod des Jungen habe sie emotional sehr erschüttert, denn schließlich sei es Ziel des Babykörbchens, an dem Kinder anonym abgelegt werden können, Kinder zu retten, sagt sie. Mit dem Grab, in dem sie den Säugling im Januar bestattet hat, mit dem Namen, der an die andere Geschichte eines Kindes erinnert, und mit dem von Uwe Spiekermann gestalteten Grabstein, gibt es nun einen Ort, an dem Menschen von dem kleinen Jungen Abschied nehmen können, der nur so kurze Zeit gelebt hat – „vielleicht auch seine Mutter, wenn sie davon erfährt,“ hofft Margot Käßmann, die selbst Mutter vor vier erwachsenen Töchtern ist.

Was die Mutter dazu bewogen hat, ihr Kind zum Friederikenstift zu bringen, bleibt ihr Geheimnis, was in dieser Nacht dort geschehen ist, wird letztendlich nie zu klären sein. Ob die Mutter versucht hat, das Kind in das Wärmebett hinter dem Babykörbchen zu legen, oder ob der Junge zu diesem Zeitpunkt bereits tot war, ist ungeklärt. „Er hatte keine Chance zu leben, was wir ihm sehr gewünscht hätten und sich auch seine Mutter erhofft hat“, sagt die Bischöfin zum Abschied. Der Junge, dessen Nabelschnur noch nicht abgetrennt war, starb laut Obduktionsbericht an Unterversorgung und Kälteeinfluss. Nach einem Gutachten der Staatsanwaltschaft war die Klappe zum Babykörbchen verzogen.

In unserer Gesellschaft gibt es keine Anordnung des Pharaos, Kinder dem Tod zu übergeben. Trotzdem sterben immer wieder Kinder, weil ihre Eltern mit der Verantwortung für ein Kind überfordert sind: unterversorgt, verhungert, Opfer von Gewalt. Es bleibe der Wunsch, dass Wunsch, jedes Kind so geborgen und gerettet werden kann, wie Mose damals in Ägypten. Dies ist gemeinsame Verantwortung aller – deshalb engagieren sich viele Ehrenamtliche bei der Organisation beim Netzwerk „Mirjam“ in Hannover oder in ähnlichen Organisationen in anderen Städten – Organisationen, die solche anonymen Baby körbchen betreiben, wo Verzweifelte ihrem Wunsch, dass das Kind gerettet wird, Ausdruck geben können. Noch wichtiger ist allerdings, Müttern und Vätern zu helfen und beizustehen, wenn Kinder zur Belastung werden. Wenn sie sich überfordert fühlen und nach Hilfe suchen. Die Mitarbeitenden von „Mirjam“ oder vergleichbaren Organisationen legen deshalb besonderen Wert auf den Netzwerkgedanken ihres Unterstützungssystems, das werdenden Mütter schon frühzeitig vielfältige Hilfsangebote bietet. So ein Babykörbchen ist dabei nur eines der Angebote.