Stille Predigten mit Nadel und Faden

Kaiserswerther Paramentik stickt seit 80 Jahren textile Kunstwerke

27. Juni 2008


Stille Predigten nennt Judith Kiehnel die textilen Kunstwerke der Paramentik-Werkstatt der Kaiserswerther Diakonie. Großflächige Stickereien hängen dort neben Miniaturen mit erkennbar christlichen Motiven oder nach abstrakten Entwürfen. Manche sind mit ungewöhnlichen Materialien wie Steinen, Glasscherben und Treibholz gefertigt.

Als Vorsteherin ist Judith Kiehnel zuständig für das Atelier im Norden Düsseldorfs, das vor 80 Jahren von der evangelischen Schwesternschaft der Kaiserswerther Diakonie gegründet wurde. Hier entstehen bis heute in Handarbeit Wandbehänge für weltliche und kirchliche Räume, Schmuck für Altar und Kanzel sowie Stolen für liturgische Gewänder. Die Arbeiten finden sich nicht nur in deutschen Kirchen und Tagungsräumen wieder, sondern schmücken auch Wände in Indonesien, Brasilien und Südafrika. Kaiserswerther Verbindungen reichen in die ganze Welt.

Für die Pflege des Jahrtausende alten Handwerks sorgen derzeit die beiden Stickerinnen Kerstin Fröse und Valeska Stengert. "Wir fertigen Auftragsarbeiten nach Vorlagen von Künstlern oder Textilgestaltern und nach eigenen Entwürfen", sagt die 34-jährige Fröse, die ihre Stickerinnenausbildung Ende 1997 als Gesellin abschloss und nun ihren Meister anstrebt.

Fröse und Stengert zeigen auf Ausführungen nach Entwürfen des 2003 gestorbenen Werkstatt-Leiters und renommierten Grafik-Professors Kurt Wolff, etwa sein Motiv des "Gespaltenen Baumes". "Bis heute sind Wolffs Entwürfe sehr gefragt", sagt Stengert. An ihrem Arbeitsrahmen mit dem eingespannten schwarz gefärbten Leinen stickt die 50-Jährige aktuell mit roten und violetten Farbtönen ein rechteckiges Wolff-Motiv für eine Aachener Krankenhauskapelle. Mindestens 120 Arbeitsstunden wird sie dafür brauchen.

"Doch die Kaiserswerther Paramentik bietet weit mehr als Entwürfe von Kurt Wolff", betont Stengert. Der Düsseldorfer Künstler Kai Hackemann etwa entwarf eine mögliche Altardecke für die Johanneskirche im Zentrum der Stadt. Die Kaiserswerther Stickerinnen berechneten und fertigten das farbige halbrund hängende Motiv, das Assoziationen an einen Kompass weckt, auf rötlichem Leinen. Bei einer Präsentation konnte sich die Öffentlichkeit bereits von der Wirkung im Zusammenspiel mit Altar, Kerzenleuchtern und Raumarchitektur überzeugen. "Wie für diese Kirche gemacht", befindet Stengert.

Das Beispiel der Altardecke illustriere zudem ein wesentliches Unterscheidungsmerkmal zwischen evangelisch und katholisch geprägter Paramentik, sagen die Stickerinnen. "In der evangelischen Kirche wird in erster Linie der Ort der Handlung geschmückt, in der katholischen Kirche die handelnde Person." Die textilen Arbeiten an Wänden und Altar strahlten Wärme aus, sorgten für eine anheimelnde Atmosphäre und dämpften eine ungünstige Raumakustik. In manchen Steinräumen, ob weltlich oder sakral, seien Textilkreationen oft die "letzte Rettung".

Das heutige Berufsbild der professionellen Stickerin in Deutschland sei leider ein schwindendes, sagt Kerstin Fröse, die sich unter anderem mit Kursangeboten für eine Weitergabe der uralten Kulturtechnik einsetzt. Die Kaiserswerther Paramentik ist bundesweit eine von vier noch an evangelischen Konventen oder Diakonien angesiedelten Werkstätten - neben Neuendettelsau, Ludwigslust und Kloster Sankt Marienberg in Helmstedt. Insgesamt ist die Landschaft jedoch größer und bunter. Die Marienberger Vereinigung für Evangelische Paramentik listet 17 Mitglieder auf. (epd)

Kaiserswerther Diakonie

Marienberger Vereinigung für Evangelische Paramentik