Brückenbauer lindert Trauer über verlorene Heimat

Ruhestandspfarrer arbeitet als Urlauberseelsorger in Litauen und Schlesien

11. Juni 2008


Schelmisch blitzen die Augen von Klaus Dieter Härtel, wenn er von seiner großen Passion erzählt. Der 71-Jährige ist zwar schon einige Jahr "i.R.". Doch übersetzt der pfälzische Ruhestandspfarrer die Abkürzung ganz eigensinnig. "Ich bin Pfarrer in Reichweite", versichert Härtel, der auch in diesem Sommer wieder in besonderer Mission den Nordosten Europas bereist.

Im Auftrag der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) ist der Senior als Urlauberseelsorger tätig. 19 Jahre stand der Pfarrer "an der Spitze der Landeskirche", wie er schmunzelnd sagt: Er lebt in der romantischen Kurstadt in Bad Münster am Stein-Ebernburg im äußersten Norden der pfälzischen Landeskirche.

Regelmäßig führt der Weg den gebürtigen Schlesier in seine alte Heimat, die er als Zweijähriger in den Kriegswirren verlassen musste. Seit einigen Jahren übernimmt der evangelische Theologe in der Urlaubszeit für einige Wochen die Seelsorge für deutsche Touristen an zwei Orten, die Zeugen trauriger Eckpunkte der deutschen Geschichte sind: in der Kirche Wang im heute polnischen Krummhübel im Riesengebirge und in dem litauischen Bade- und Künstlerort Nidden auf der Kurischen Nehrung an der Ostsee.

Gegen Ende des Zweiten Weltkriegs wurde die deutsche Bevölkerung auch aus diesen beiden Städten im früheren Ostpreußen und Schlesien vertrieben. Seit der Öffnung des Eisernen Vorhangs vor rund 20 Jahren bereisten immer mehr Deutsche die ehemaligen deutschen Ostgebiete, berichtet Härtel, der im schlesischen Breslau geboren wurde.

Nicht nur ältere Menschen wollten die verlorene Heimat ihrer Jugend einmal - und oft ein letztes Mal - wiedersehen. Auch die Kinder und Enkel der Kriegsgeneration habe ihr Interesse an den eigenen Wurzeln entdeckt. "Wehmut und Trauer über den Verlust" seien die Gefühle, die viele Bewohner der ehemaligen deutschen Ostgebiete bei ihrem Urlaub erlebten. Seelsorge an dieser Gruppe sei eine spannende und anspruchsvolle, aber keine leichte Tätigkeit, berichtet Härtel.

Er selbst hat sich erst in seiner zweiten Lebenshälfte dem Ort seiner Jugend wieder angenähert. Seit 1989 nutzt er bei zahlreichen Reisen die Chance, die ehemaligen deutschen Ostgebiete kennenzulernen. Sechs Mal seit 2002 entsandte die EKD den Urlauberseelsorger aus der Pfalz in den Auslandseinsatz. Im Mai machte sich Härtel wieder mit Ehefrau, Bibel und Talar auf die Reise in das Urlauberdomizil Nidden. Dort bewohnte er das Gemeindehaus der litauischen evangelischen Gemeinde.

"Da ist einer, der Verständnis für die Geschichte hat und auf die Menschen zugeht", erklärt er sich den Grund, weshalb die evangelische Kirche ihn immer wieder ins Ausland schickt. Denn gerade im Urlaub suchen viele Menschen den Kontakt zur Kirche - sie haben Zeit, sich persönlichen Problemen zu stellen und darüber zu sprechen. Der Pfarrer verschweigt seiner Urlaubergemeinde nicht das Unrecht, das sich Deutsche, Polen und Litauer gegenseitig im Krieg und in der Nachkriegszeit zufügten.

Wehmut, aber auch Empörung darüber, "dass durch Hitler alles verloren wurde", erlebt er immer wieder im Gespräch mit deutschen Urlaubern, "aber keinen Revanchismus". Vielmehr wollten vor allem die älteren Deutschen eine Lebensbilanz ziehen, eine schmerzende Wunde im eigenen Lebenslauf schließen. "Viele kommen und arbeiten ihr Heimweh auf." Auch für Härtel schließt sich ein biografischer Kreis: "Ich bin dort 'Gastarbeiter'", sagt er, "und endlich kann ich das Land meiner Vorfahren besuchen."

Quelle: Evangelischer Pressedienst

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