Barbarisch zerstört, bis heute umstritten

Vor 40 Jahren sprengte das SED-Regime die Leipziger Universitätskirche St. Pauli

30. Mai 2008


Der 30. Mai 1968 ist ein sonniger Frühjahrstag. Auf dem Karl-Marx-Platz mitten im Leipziger Stadtzentrum herrscht Anspannung, nur wenige Menschen dürfen sich im Radius von 300 Metern um die dort gelegene Paulinerkirche aufhalten. Dann dröhnt ein Warnsignal über das Stadtzentrum und es detonieren die 700 Kilogramm Sprengstoff, mit denen das Gemäuer des Gotteshauses vollgestopft wurde. Erst kippt der Dachreiter, dann der Turm und die Westseite der Kirche, am Schluss fällt die Giebelrosette an der Frontseite.

Was im Zweiten Weltkrieg die Fliegerbomben nicht schafften, hatte das SED-Regime nachgeholt: Die über 700 Jahre alte Universitätskirche St. Pauli, in der Luther predigte und Bach Orgel spielte, Grabstätte von mindestens 500 Toten, ist ein Trümmerhaufen.

Dietrich Koch sitzt an diesem Tag in seiner Leipziger Wohnung - ihn plagt die Angst. Seit dem letzten Gottesdienst in der Paulinerkirche am 23. Mai hatte er jeden Nachmittag auf dem Karl-Marx-Platz gestanden, zusammen mit hunderten anderen Menschen, die dort stumm protestierend in Richtung Kirche blickten. Am 27. Mai wird Koch festgenommen und verhört, am nächsten Tag lässt ihn die Stasi wieder laufen. Die Deutsche Akademie der Wissenschaften, für die er als Physiker arbeitet, kündigt ihm fristlos.

Doch Koch lässt nicht locker und beteiligt sich an einer spektakulären Protestaktion: Beim Abschlusskonzert des internationalen Bachwettbewerbs entrollt sich zeitgesteuert ein Transparent mit der Aufschrift "Wir fordern Wiederaufbau!". Als die Stasi ihm auf die Spur kommt, verhört sie ihn 23 Monate lang, später wird Koch zu zweieinhalb Jahren Haft mit anschließender unbefristeter Einweisung in die Psychiatrie verurteilt. "Das Schlimmste war der Verrat meiner Freunde, die mich mit ihren Aussagen belasteten", sagt Koch. 1972 wird er in die Bundesrepublik abgeschoben.

Ulrich Stötzner hat die Sprengung aus nächster Nähe miterlebt. Heute ist er Vorsitzender des Paulinervereins, der sich seit 1992 zunächst für den Wiederaufbau, dann für eine "angemessene Erinnerung" an das Gotteshaus einsetzt. Nach den Plänen der Universität soll dort ein "modernes Paulinum" entstehen. "Wir fordern, dass das Haus in baulicher und funktionaler Einheit als Kirche und Aula dient und Universitätskirche heißt", sagt Stötzner. Doch die Hochschule will davon nichts wissen. "Eine Kirche, die nebenbei als Aula genutzt wird, ist seitens der Universität nicht gewünscht", so Rektor Franz Häuser.

Derweil wächst der Neubau am Kal-Marx-Platz in die Höhe. Pünktlich zum 600. Geburtstag der Alma Mater 2009 soll der 170 Millionen Euro teure Campus fertig sein. Das "moderne Paulinum" beherbergt eine Aula mit angeschlossenem Chorraum. Das Gebäude soll an die Gestalt der gesprengten Kirche erinnern. Universität, Stadt, Landesregierung und auch der Paulinerverein hatten sich 2004 auf diesen Vorschlag des holländischen Architekten Erick van Egeraat geeinigt.

Doch seitdem hat die Universität die Innengestaltung mehrfach geändert. Mehrere Säulen sind aus dem Entwurf verschwunden, Aula und Chorraum sollen nun durch eine Glaswand voneinander getrennt werden. "Wir haben uns täuschen lassen", klagt Stötzner. Rückendeckung erhält der Verein von Landesbischof Jochen Bohl: Die Glaswand könne die Landeskirche "keinesfalls mittragen".

"Das Paulinum wird ein Gebäude für die Zukunft", hält Thomas Dudzak dagegen. Der Geschichtsstudent ist Sprecher des Studentenrates der Universität. Das Paulinum sei in erster Linie ein akademisches Gebäude und keine Kirche: "Das multi-kulturelle Spektrum der Studierenden verlangt nach einem multi-konfessionellen Andachtsraum."

Der ehemalige Nikolaikirchenpfarrer Christian Führer ist dennoch überzeugt, dass die Mehrheit der Leipziger die Universitätskirche - in moderner Gestalt - zurück will. Für diesen Freitag hat er deshalb zur Demonstration aufgerufen: "Wir brauchen den Druck von der Straße - jetzt!" Dietrich Koch will dabei sein. Den Streit um die Innengestaltung des Paulinums findet er aber übertrieben: "Wenn die Studenten das Haus als Kirche nutzen, dann wird es auch eine sein."

Paulinerkirche Leipzig

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