„Aufnahmekapazitäten der Länder bald erschöpft“

Der Bevollmächtigte des Rates besuchte Flüchtlinge in Syrien und Jordanien

23. Mai 2008


„Die Gesamtlage schreit förmlich danach, dass Europa handelt. Die Situation der irakischen Flüchtlinge in Syrien und Jordanien spitzt sich immer weiter zu.“ Stephan Reimers, Bevollmächtigter des Rates der EKD bei der Bundesrepublik Deutschland und der Europäischen Union, ist mit vielen bewegenden Bildern und Eindrücken, vor allem aber mit diesem Appell zurückgekehrt von einer Reise durch die beiden Nachbarländer des Irak. Dort, wo die meisten irakischen Flüchtlinge derzeit Aufnahme gefunden haben, hat er sich mit einer Delegation deutscher Abgeordneter und Kirchenvertreter darüber informiert, wie das Leben der Geflohenen und Vertriebenen vor Ort aussieht.

Bilder und Geschichten hat er mit zurück nach Deutschland gebracht – etwa dies: „Eine Frau wohnt mit ihren fünf Kindern in einem Kellerloch. Immer, wenn sie weggeht, muss sie ihre Kinder dort einschließen“, berichtet Reimers. Besucht habe er auch die Eltern von zwei schwerstbehinderten Kindern. „Im Irak hatten sie eine entsprechende therapeutische Betreuung; jetzt, fern der Heimat, waren sie vollkommen hilflos.“ Die Versorgung mit dem Nötigsten – Nahrung, Medizin und Schulunterricht für die Kinder – sei in den meisten Fällen gegeben, sagt der Bevollmächtigte. Aber wie lange noch? Die Ersparnisse der Flüchtlinge, die meist aus der irakischen Mittelschicht stammen, seien bald aufgebraucht; ihre Visa liefen ab und ihnen bleibe nur, in den Irak zurück zu reisen oder in die Illegalität abzutauchen. Und: „Die Kapazitäten der Aufnahmeländer stoßen an ihre Grenzen.“ Dies sei im Gespräch mit dem jordanischen Außenminister, Salaheddin Al-Bashir, deutlich geworden. Die Schulen in Jordanien seien vollkommen überfüllt, zusätzlich mache sich dort Fremdenfeindlichkeit bemerkbar. Al-Bashir habe keinen Zweifel daran gelassen, dass es in seinem Land ohne europäische Unterstützung nicht weiter gehe. Nicht besser, sagt Reimers, ist die Lage in Syrien. Noch sind die Grenzen zum Irak nicht ganz dicht, doch die Vergabe von Visa ist zunehmend restriktiv.

Insgesamt sind von rund 4,5 Millionen irakischen Flüchtlingen etwa zwei Millionen in die Nachbarländer geflohen. Die Mehrheit von ihnen, etwa 1,3 Millionen, hält sich derzeit in Syrien auf; einem Land, das insgesamt etwa 13 Millionen Einwohner hat. Rund 750.000 Flüchtlinge leben in Jordanien.

Gruppengespräche und einzelne Hausbesuche haben Vertreter des Flüchtlingskommissariats der Vereinten Nationen UNHCR für die Begegnung der Deutschen Delegierten mit den Flüchtlingen in Damaskus und Amman organisiert. Dabei zeigte sich: „Die meisten Flüchtlinge haben schwerste Gewalterfahrungen hinter sich: Entführungen, Vergewaltigungen, den Tod von Familienmitgliedern, massive Bedrohungen im Alltag.“ Trotzdem fühlten sich fast alle Geflohenen mit ihrer Heimat so sehr verbunden, „dass sie lieber heute als morgen zurückkehren wollen“. Anders die Situation der Christen und der übrigen religiösen und ethnischen Minderheiten: Schutz für Leib und Leben, davon ist Reimers überzeugt, gibt es für sie im Irak nicht mehr. Wer keiner großen Konfession angehört oder die Miliz hinter sich hat, für den gebe es keine Existenzgrundlage mehr. Bagdad, ehemals „religiöser Schmelztiegel“, sei inzwischen genau aufgeteilt zwischen Sunniten, Schiiten und anderen Konfessionen.

Was kann Europa tun, hat sich die Delegation aus Deutschland auf ihrer Reise angesichts dieser Erfahrungen gefragt. Zum einen die Hauptaufnahmeländer in ihrer schwierigen Lage auch finanziell unterstützen, schlägt der Prälat vor. Zweitens müssten Deutschland und andere europäische Nachbarn schutzbedürftige Flüchtlinge, die religiösen und ethnischen Minderheiten im Irak angehören, aufnehmen. Reimers hofft, dass dies im Rahmen eines Resettlement-Verfahrens geschieht. Und dass es dabei um mehr geht „als eine symbolische Zahl an Menschen“.

Der Bevollmächtigte des Rates der EKD