Aachener Friedenspreis

Der Hoffnungsträger aus Bethlehem

14. Mai 2008


Bedrohung, Besetzung und Schikanen gehören zum Alltag von Mitri Raheb. Doch der palästinensische Pfarrer will sich mit dem zunehmenden Hass nicht abfinden. Palästinenser und Israelis brauchen eine Vision, wie sie gemeinsam leben können - so lautet das Credo des evangelischen Theologen, der seit 20 Jahren Pfarrer der Weihnachtskirche in Bethlehem ist. Sein langjähriges Engagement für das friedliche Zusammenleben im Nahen Osten wird in diesem Jahr mit dem Aachener Friedenspreis gewürdigt. Raheb sei heute einer der Hoffnungsträger in der Region, begründete der Friedenspreis-Verein in Aachen die Wahl. Der Theologe erhält den Preis gemeinsam mit der israelischen Friedensorganisation "MachsomWatch". Die Auszeichnung sieht der 45-jährige Theologe als "eine Ermutigung, dass unsere Arbeit gerade in Deutschland wahr- und ernstgenommen wird", wie Raheb in Bethlehem sagte.

Neben seinen Aufgaben als Pfarrer entwickelte Raheb nach und nach auf dem Kirchenareal ein weitgefächertes Angebot an Bildungszentren, Betrieben und touristischen Einrichtungen für internationale Gäste. So gibt es dort inzwischen ein Internationales Begegnungszentrum, eine Schule und ein Zentrum für Kunsthandwerk. Nachdem das Gelände im Jahr 2002 von der israelischen Armee besetzt und zu großen Teilen zerstört wurde, setzte sich Raheb unermüdlich für einen Wiederaufbau ein. Die richtige Antwort auf eine Kultur der Gewalt, so argumentierte er, sei die Macht der Kultur. "Der Krieg kann uns nicht unsere Vision rauben, in Frieden mit unseren Nachbarn zusammenzuleben", verkündete er denn auch im ersten Gottesdienst nach dem Ende der Besetzung.

Krieg und Terror prägten Rahebs Leben bereits früh. "Die ersten Klänge, die mir im Gedächtnis geblieben sind, stammen von israelischen Flugzeugen, die über unsere Stadt fliegen", erinnert sich der Pfarrer an seine frühe Kindheit während des Sechs-Tage-Krieges 1967. Der 1962 in Bethlehem geborene Raheb studierte evangelische Theologie an der Universität Marburg, wo er auch promovierte. Heute unterhält er zahlreiche Kontakte nach Deutschland, Europa und in die USA. Mit Leidenschaft streitet der Theologe für eine gemeinsame Zukunft von Palästinensern und Israelis. Dabei macht er aus Rückschlägen und Enttäuschungen keinen Hehl. Für eine Feier sehe er keinen Anlass, erklärte er mit Blick auf das 60. Jubiläum der Staatsgründung Israels, das in diesen Tagen begangen wird. Das Projekt Israel sei schon aufgrund der Besatzung und das Projekt Palästina am Konflikt zwischen den Organisationen Fatah und Hamas gescheitert.

Nach Rahebs Ansicht muss sich auch Europa stärker seiner Verantwortung für den Nahen Osten stellen. Denn die heutigen Spannungen und Konflikte seien der Preis, den die Region für die Schuld Europas zahlen müsse, betont er. Der Holocaust habe nicht nur dem jüdischen Volk geschadet, sondern auch den Palästinensern. "Denn wir sind die Opfer der Opfer", ist Raheb überzeugt.

Auch wenn der Pfarrer derzeit einem eigenständigen Palästinenserstaat kaum Chancen einräumt, schöpft er immer wieder neue Hoffnung. Etwa, wenn er das Engagement von Friedensinitiativen wie "MachsomWatch" sieht. Die Freiwilligeninitiative israelischer Frauen prangert Menschrechtsverletzungen der israelischen Kontrollposten gegenüber Palästinensern an. "Das sind für mich Israels neue Propheten, die Israel ins Gewissen rufen", würdigt Raheb die Initiative. Denn wirklich weise sei, so schreibt der Theologe in seinem jüngsten Buch "Bethlehem hinter Mauern", wer aus Feinden Nachbarn mache und nicht aus Nachbarn Feinde.

In einem Interview äußert sich Mitri Raheb zur Preisverleihung und zu seiner Arbeit