Erfahrungen der Christen im Irak machen Dringlichkeit deutlich

Lebensräume schaffen – für die Menschen beten und kämpfen

08. Mai 2008


„Ich wollte nicht weg, auch wenn ich im Irak viele Male bedroht worden bin“, sagt die armenisch-orthodoxe Friseurin Cayran. „Aber dann wurde mein Salon niedergebrannt und das Auto meines Mannes, der als Chauffeur arbeitete, geraubt. Da haben wir alles zurückgelassen und sind nach Syrien geflohen.“ Für Menschen, die aus ihrer Heimat fliehen mussten, ist es wichtig, über den Verlust von Angehörigen zu sprechen, über die plötzliche Flucht aus der Gemeinschaft, über das harte Leben als Flüchtlinge.

Im Griechisch-Orthodoxen Patriarchat von Antiochien und dem gesamten Morgenland in Damaskus trafen Flüchtlinge aus dem Irak und kirchliche Verantwortliche aus der weltweiten Ökumene Welt zusammen. Irakische Christen, die heute als Flüchtlinge in Syrien leben, erzählten von ihren Erfahrungen und die Kirchenvertreter und -vertreterinnen aus den USA, Deutschland, dem Libanon, Pakistan und Schweden sowie die Generalsekretäre des Ökumenischen Rates der Kirchen (ÖRK) und des Rates der Kirchen im Mittleren Osten hörten ihnen zu.

Zur Sprache kamen Geschichten von unvorstellbarem Leid im Irak und von beeindruckender Gastfreundschaft in Syrien. Die Vertreter der Ökumene hörten von der Angst und Mühsal des Lebens im Irak und vom Schmerz der Flucht. Sie erfuhren, welche Belastung die 1,5 Millionen irakischen Flüchtlinge für die syrische Wirtschaft darstellen. Gerade die Geflohenen brauchen Arbeit und Sicherheit, auch wenn die Frage, wie es für sie weitergeht, noch längst nicht beantwortet ist.

Lebensmittelpreise und Mieten haben stark angezogen und es ist extrem schwierig, gut bezahlte Arbeit zu finden. „Selbst wenn es keine Flüchtlinge gäbe, müsste die Wirtschaft jährlich Tausende von Arbeitsplätzen schaffen, um die jungen Menschen zu beschäftigen, die auf den Arbeitsmarkt drängen“, erklärte Samer Laham, Direktor für ökumenische Beziehungen des griechisch-orthodoxen Patriarchats den ausländischen Besuchern.

An jenem Abend sprachen viele über die traumatischen Erfahrungen, unter denen besonders die Kinder leiden. Die syrisch-orthodoxe Friseurin Cayran etwa erzählt, dass ihr Sohn nicht mehr richtig sprechen kann, seit er nur knapp einer Entführung entgangen ist. „Tiere haben es im Irak besser als Menschen“, fasst Samira zusammen. Die syrisch-orthodoxe Flüchtlingsfrau erinnert sich: „Tiere können sich wenigstens frei bewegen. Wir dagegen trauten uns nicht mehr, in die Kirche zu gehen, weil Leute aus der Kirche entführt worden sind.“ Und dann erzählt sie weiter, dass sie vormals im Irak lebte eines Tages mit ihrer Tochter einkaufen gewesen sei: „Wir wurden von drei bewaffneten Männern angehalten. Sie schubsten meine Tochter herum und fragten, warum sie unverschleiert auf der Straße sei. Seitdem wollte sie das Haus nicht mehr verlassen und hat ihr Studium abgebrochen.“

Aram, der Mitglied der armenisch-orthodoxen Kirche in Bagdad war, erzählt: „Christliche Bekannte von meine Frau und mir wurden umgebracht. Auf ihren Handys entdeckten die Mörder unsere Telefonnummer und riefen uns an, um uns zu bedrohen.“ Er schildert auch das Misstrauen, das das Miteinander im Irak vergiftet. „Wir hatten Freunde, die, wie sich dann gezeigt hat, für die Mahdi-Armee arbeiteten. Wir dachten, sie seien Freunde, aber sie haben uns fotografiert, damit man uns umbringen konnte.“

„Meiner Familie wurde gedroht: Entweder, ihr seid in 15 Minuten verschwunden, oder wir bringen euch um“, erzählt Munir, der zur calvinistischen Gemeinde in Bagdad gehört hat. Sie hätten nicht gewusst, wie ernst sie diese Drohung nehmen sollten, und so gingen sie nach nebenan in die Wohnung seiner Schwester und warteten. Und tatsächlich erschien eine bewaffnete Bande. „Sie haben unsere Frauen vergewaltigt und sogar meine 80-jährige Mutter geschlagen.“ Nachdem Munirs Schwager, den die Männer mitgenommen hatten, freikam, sei die Familie sofort geflohen, „ohne auch nur ein einziges Kleidungsstück mitzunehmen“. Die Wohnung haben sie für ein Viertel ihres Werts verkauft.

Das Leben in Syrien sei auch kein Zuckerschlecken. Die Mittel, die die Flüchtlinge vielleicht mitbringen konnten, seien schnell aufgebraucht, und Arbeitsplätze rar. „Ich habe einen Bruder und eine Schwester, die die Region verlassen haben“, erzählt Munir. „Wir sind von ihnen abhängig und eine Last für sie. Sie können es sich nicht leisten, uns laufend Geld zu schicken.“ Eine seelische Belastung für viele Familien ist das Bewusstsein, dass sie in Not- oder Krankheitsfällen nicht abgesichert sind. Kwarin zum Beispiel hat seinen Job bei einer Sicherheitsfirma in Bagdad aufgegeben, um bei seiner Familie im Exil zu sein und sich um die vier Kinder zu kümmern. „Mein Frau müsste dringend operiert werden,“ sagt er, „aber ich habe kein Geld für die Operation.“

Aber die Flüchtlinge, die jetzt in Syrien leben, sind dem Gastgeberland und den dortigen Kirchen dankbar für die Aufnahme. Doch viele fühlen sich von der internationalen Gemeinschaft im Stich gelassen. Sie sind enttäuscht von den westlichen Botschaften, die Visumanträge immer wieder ohne Erklärung ablehnen. „Wollen sie, dass die Eltern in den Irak zurückgehen und dort umgebracht werden, bevor sie den Kindern erlauben, die Region zu verlassen? Sollen unsere jungen Frauen zurückgehen und vergewaltigt werden, bevor man sie ausreisen lässt?“, fragt einer der Männer aufgebracht.

„Nein, no!“ oder sogar „niemals, never!“ rufen die Flüchtlinge als erste Reaktion auf die Frage, ob sie in den Irak zurückkehren wollten. Ihre Angst ist zu spüren: „Natürlich möchte ich in meine Heimat zurück“, erklärt eine junge Frau aus Basra, „aber können Sie mir garantieren, dass ich nicht getötet werde? Meine Verwandten sind zurückgegangen und wurden in einer einzigen Nacht umgebracht.“

Oberkirchenrat Volker Faigle aus dem Büro des Bevollmächtigten des Rates der EKD bei Bundesregierung und Europäischer Union dankt den Männern und Frauen für ihre Bereitschaft, der ÖRK-Delegation ihre Erfahrungen zu berichten. „Wir können Ihnen keine Flugtickets oder Visa aushändigen“, räumt er ein, „aber die EKD und die römisch-katholische Kirche in Deutschland wenden sich gemeinsam an die Regierung, den Bundestag und die europäischen Institutionen. Wir berichten, was wir gesehen und gehört haben. Wenn wir in unsere Heimatländer zurückgekehrt sind, werden wir an Sie denken, für Sie beten und für Sie tätig werden.“

In seiner Predigt am Karfreitag hat der Vorsitzende des Rates der EKD, Bischof Wolfgang Huber gefordert, dass für die Christen aus dem Irak auch in Europa Aufnahmemöglichkeiten zu bieten. Die EKD begrüßte es, als der Bundesinnenminister, Wolfgang Schäuble, sich im Kreis der EU-Innenminister für eine schnelle und gute Lösung einsetzte. Er freute sich über die positiven Signale der Innenministerkonferenz, Christen und Angehörige anderer religiöser Minderheiten aus dem Irak aufzunehmen.

Karfreitagspredigt des EKD-Ratsvorsitzenden

EKD-Pressemitteilung zur Innenministerkonferenz des Bundes und zur Gesprächssituation auf EU-Ebene