Leuchtkraft der Kirchenordnungen von vor 500 Jahren

Gottesdienst als Zentrum der Kirche

18. April 2008


Hätte Johannes Bugenhagen eine Visitenkarte besessen, wäre darauf wohl „Pfarrer an der Stadtkirche zu Wittenberg“ als Berufsbezeichnung gestanden – allerdings gab es damals noch keine Visitenkarten und genauso widersprüchlich: Johannes Bugenhagen war viel unterwegs und wurde dann an „seiner“ Kirche von dem berühmteren Kollegen Martin Luther vertreten. Johannes Bugenhagen gehört nicht zu den besonders prominenten Zeitzeugen der Reformation und gerät neben dem schon genannten Kollegen an der Wittenberger Stadtkirche und dem „Lehrer der Deutschen“ Philipp Melanchthon zu denen, die bei der Erinnerung an diese ersten Jahre des 16. Jahrhunderts schnell vergessen werden.

Vor 450 Jahren am 20. April 1558 ist der in Pommern geborene Theologe in Wittenberg gestorben. Geboren wurde er, der sich „Pomeranus“ nannte, im pommerschen Wollin 1485. Die Bezeichnung „Pomeranus“ erinnert nicht nur an seine pommersche Heimat, sondern ist auch ein Hinweis auf sein Wirken im Bereich der Kirche Norddeutschlands, vielleicht das, was in derzeitiger Debatte als „Nordkirche“ bezeichnet wird: „Der Schritt zu einer Nordkirche ließe sich leicht auf Bugenhagens Impuls zurückführen,“ sagte der Vorsitzende des Rates der EKD in einem Vortrag anlässlich des 450. Todestags des Reformators: „Er kam aus Pommern, was aber nicht an diese Region gebunden oder gar in seiner Wirksamkeit auf sie beschränkt.“

Kirchen- und reformationsgeschichtlich Informierte verbinden mit dem Namen Johannes Bugenhagen sofort den Begriff „Kirchenordnungen“. In verschiedenen Regionen Norddeutschlands und in Dänemark hat er jungen Kirchen, die sich der Reformation angeschlossen haben, aus seiner Wittenberger Erfahrung heraus zu solchen Ordnungen verholfen. Doch von dem trocken wirkenden Begriff der kirchlichen Ordnung, von der auf viele lebensfremd wirkenden Materie juristisch grundlegender Festlegungen und liturgischer Übereinkünfte der Gottesdienstgestaltung darf keiner sich täuschen lassen. Gerade bei Johannes Bugenhagen und seinen Kirchenordnungen für Hamburg, Lübeck oder Braunschweig, für Pommern und Dänemark wird deutlich, wie sehr reformatorische Kirchenordnungen dem Leben zugewandt waren und sind.

Augefällig wird dies sofort bei der Sprache. Waren die damals bekannten Kirchenordnungen auf Lateinisch verfasst und konnten deshalb von vielen Gemeindeglieder weder gelesen noch verstanden werden, schrieb Bugenhagen die Ordnungen in Niederdeutsch. Zum anderen hat sich der Theologe die Mühe gemacht, nicht nur den anfragenden Gemeinden und Kirchen, eine vorhandene Ordnung zu empfehlen, sondern hat sich als Pfarrer und Prediger für Monate dort aufgehalten, um die lokale Situation zu erleben und in der Kirchenordnung aufgehen zu lassen.

Deutlich wird dies unter anderem in seinem Sendschreiben an Hamburg, die ihn um Unterstützung gebeten hatten, aber anfänglich keine Mehrheit bekamen, den Wittenberg Stadtpfarrer für ein halbes Jahr elbeabwärts in die Hansestadt als Pfarrer zu berufen. Er wollte nicht als ungebetener Ratgeber von außen , sondern als „erwählter Pastor und Prediger“ erweisen. Trotzdem zeigte er sich schon in diesem ersten Sendschreiben mit den Verhältnissen vor Ort vertraut und vermag den Reformbedarf sachgemäß einzuschätzen. Diesen sah Bugenhagen vor allem in drei Bereichen: dem Gottesdienst, der Diakonie und dem Unterricht, bzw. konkret gesprochen: in den Fragen der Predigeranstellung und -besoldung, der Regelung der Armenfürsorge und der Verbesserung des Schulwesens.

Im Mittelpunkt seiner neuen Ordnung steht – streng nach reformatorischem Verständnis – der Gottesdienst: Zu solcher Lehre aber bedarf man gute Prediger, denen Gott sein Wort ins Herz gegeben hat und sonderlich Gaben, daß sie es mündlich und verständlich dem Volk vortragen können, nach rechtem Maße und zu rechter Zeit, zu Nutze und nicht zu Verderbniß, [Prediger,] denen die Sache Gottes zu Herzen gehet, daß sie nicht Ehre und Vorteil suchen, sondern Gottes Ehre und der Menschen Seligkeit.“ Es gelte in der Predigt, bei der Freiheit des Glaubens anzusetzen. Zudem plädiert Bugenhagen für behutsame Reformen, die niemanden abschrecken und im Einverständnis mit der Obrigkeit stehen. Was hingegen nicht sofort erreicht werden könne, solle man getrost der Gnade Gottes anbefehlen.

Besondere Leuchtkraft entwickelten die von Bugenhagen so lebensnah entworfenen Kirchenordnungen. Viel von dieser Leuchtkraft, so der Ratsvorsitzende, sei auch fast ein halbes Jahrtausend später noch erhellend.

Doch nicht nur seine Wirksamkeit als Verfasser verschiedener Kirchenordnungen in der Reformationszeit zeichnen den Stadtkirchenpfarrer von Wittenberg aus – er war auch derjenige, der viele Predigten seines Kollegen Martin Luthers für die Nachwelt erhalten hat. Er habe als inniger Freund Luthers und dessen Seelsorger häufig den Hauptprotagonisten der Reformation in seiner „schlichten Glaubensart“ in schweren Stunden aufgerichtet, berichten Kenner der Szene in Wittenberg.

Predigt des EKD-Ratsvorsitzenden zum Thema

Informationen zum Bugenhagen-Jahr 2008