Hauptsache Gesund? – Krankheit gehört zum Leben

Evangelische und Katholische Kirche eröffnen am Wochenende die „Woche für das Leben 2008“

01. April 2008


„Hauptsache Gesund“ – so antworten viele auf die Frage, wie es ihnen geht. „Hauptsache Gesund“ ist zur Standardformel geworden, als wäre der Aspekt umfassender Gesundheit der neue Begriff für das, was man früher einmal die Seligkeit nannte. Und wenn der eine dem anderen zum Geburtstag gratuliert und nicht so recht weiß, was er eigentlich wünschen soll, greift der Gratulant schnell einmal zur Formel: „Vor allem Gesundheit“ – vor allem? Vor allem anderen?

Gesund war sie ein Leben lang. Einzig ihre Schwangerschaft vor 18 Jahren hat sie für ein paar Tage ins Krankenhaus geführt. Ansonsten blieb sie all die Jahre das Musterbild eines gesunden Menschen mit guten Blutwerten, schmerzfreiem Leben und keinen gesundheitlichen Sorgen. Nicht einmal an eine einfache Grippe oder einige Tage Unwohlsein konnten sich die anderen später erinnern. Sport hat sie nie übertrieben, aber immer, um fit zu bleiben, betrieben: ein wenig Gymnastik, Nordic Walking mit den Freundinnen, spazieren gehen mit Kind und Kegel und im Winter lustvoll Ski fahren. Die Besuche bei der Ärztin waren mehr ein gewohntes Treffen mit einer Freundin als sorgenvolles Warten auf neue Informationen über Krankheiten. Und dann ist sie auf der Skipiste einfach umgefallen, war tot: „Hauptsache Gesund?“

Werbung für Anti-Aging-Mittel und Wellness-Angebote purzeln Tag für Tag aus dem Briefkasten und füllen – unnötiger Weise – den Altpapiercontainer. Viele verlieren jedes Maß und vergessen, dass auch das Altern zum Leben gehört. Wer nicht gesund, schlank und leistungsfähig ist, bleibt ausgeschlossen: Joggen, Radfahren, Online-Skating sind Freizeitbeschäftigungen, die zwar oftmals die Kommunikation ausschließen, sich dafür aber richtig gesund anfühlen: „Hauptsache Gesund?“

Wer krank geworden ist, vielleicht sogar chronisch krank oder behindert ist, fühlt sich häufig aus dieser Gesellschaft ausgeschlossen. Dabei gehören Menschen, die eben nicht so gesund sind wie andere, mitten in die Gesellschaft, die Erfahrung von Krankheit, Leiden und auch vom Sterben zum Leben. Wo angeblich nicht gesunde Menschen in besondere Hilfesysteme nur „abgeschoben” werden, leiden nicht nur die Betroffenen, sondern allen wird ein Teil wichtiger Erfahrungen genommen.

Ein falsches Ideal von Gesundheit und Leistungsfähigkeit verführt zudem die Gesunden, ihre Grenzen zu überschreiten, und zerstört die Fähigkeit zu Einfühlung, Mitleid und Hilfsbereitschaft. Die biblischen Heilungsgeschichten bezeugen, dass Jesus sich denen zugewandt hat, die am Rand der Gesellschaft der Gesunden stehen. Ihnen hat er durch seine Heilungen mehr als bloß körperliche Genesung gebracht. Heilungen richten Gebeugte auf, holen Ausgestoßene in die Gemeinschaft zurück und eröffnen Horizonte des Miteinanders und Perspektiven der Hoffnung, die über die eigenen Kräfte hinausgehen. Wo Jesus Menschen heilend berührt, lässt er sie die Fülle des Lebens erfahren.

Den Menschen Heilung zu bringen, ist für Jesus so zentral, dass er diese Aufgabe seinen Jüngern mit auf den Weg gibt: „Und er sandte sie aus mit dem Auftrag, das Reich Gottes zu verkünden und zu heilen” (Lukasevangelium 9,2). Mitleid und Barmherzigkeit gehören von Anfang an zum Profil des Christentums, tätige Nächstenliebe gehört zum Wesen der Kirchen. Die seelsorgliche und diakonische Zuwendung zu den Kranken zieht sich wie ein roter Faden durch die Geschichte der Kirchen. Vom Einsatz einzelner Personen wie Elisabeth von Thüringen oder Friedrich von Bodelschwingh über die Leistungen von kirchlichen Gemeinschaften in den zahlreichen Gründungen der Krankenfürsorge des 19. Jahrhunderts bis hin zu ihrer Rolle im modernen Gesundheitssystem als Trägerin kirchlich geführter Krankenhäuser und ambulanter Dienste – zu allen Zeiten haben die Kirchen in Leib- und Seelsorge den Auftrag Jesu umzusetzen versucht.

Viele Menschen haben die Erfahrung gemacht, dass Begegnungen mit Menschen, die einem vorherrschenden Gesundheitsideal nicht entsprechen, eine spirituelle Dimension haben, die ihre Leidenschaft für das Leben weckt. Aus solchen Begegnungen wächst auch das kirchliche Engagement für eine fürsorgliche Pflege und eine gute Qualität unserer Krankenhäuser. Diese Kraft der Fürsorge neu zu wecken, nicht nur bei denen, die dafür bezahlt werden, aber zugleich denen, die diese Fürsorge zum Beruf machen, mit Respekt und Anerkennung zu begegnen, das wäre die wirkliche Revolution, die unser Gesundheitssystem braucht. Das ist der Grund, warum die Kirchen sich in der „Woche für das Leben“ in diesem und in den kommenden beiden Jahren mit dem Thema Gesundheit beschäftigen.

Woche für das Leben 2008

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