Suche nach menschlichen Gesten

Der Pfarrer und Dichter Albrecht Goes wurde vor 100 Jahren geboren

25. März 2008


Seine Erzählungen haben nichts von ihrer Aussagekraft verloren. Der württembergische Pfarrer und Dichter Albrecht Goes, der am 22. März 100 Jahre alt geworden wäre, wurde bekannt durch Geschichten um Schuld und Bewährung im Nationalsozialismus wie "Unruhige Nacht" (1950) und "Brandopfer" (1954). Zu seinem 100. Geburtstag hat der S. Fischer-Verlag eine Sammlung von Gedichten neu herausgebracht. Albrecht Goes starb am 23. Februar 2000 im Alter von 91 Jahren in Stuttgart.

Der Pfarrerssohn, geboren in Langenbeutingen bei Heilbronn, fühlte sich der deutschen Klassik und Romantik verpflichtet. In den 20er Jahren studierte er evangelische Theologie, Germanistik und Geschichte in Tübingen und Berlin. Er liebte Goethe, Hölderlin, Rilke und Thomas Mann ebenso wie Bach und Mozart. Seine eigene Lyrik folgte dem Vorbild Eduard Mörikes.

Während des Zweiten Weltkriegs aber stand Goes als Militärpfarrer in der Ukraine der Brutalität des Krieges wehrlos gegenüber. Er hat daraus Konsequenzen gezogen und als Schriftsteller für sich und seine Leser Rechenschaft abgelegt, politisch Stellung bezogen. Goes trat öffentlich gegen die Wiederbewaffnung der Bundesrepublik ein, gegen atomare Aufrüstung und die Notstandsgesetze. Und er engagierte sich sein Leben lang für die Versöhnung zwischen Christen und Juden.

Mehrfach wurde er ausgezeichnet, darunter 1978 mit der Buber-Rosenzweig-Medaille. Mit dem jüdischen Theologen Martin Buber verband ihn eine Brieffreundschaft. Goes' Frau Elisabeth öffnete in den Kriegsjahren das Pfarrhaus für Juden und rettete ihnen damit das Leben. 1995 wurde sie in der israelischen Gedenkstätte Jad Vaschem als "Gerechte unter den Völkern" ausgezeichnet.

Die Verständigung zwischen Juden und Christen war auch Gegenstand von Goes' Erzählung "Das Brandopfer", in der eine Metzgersfrau von den Nazis verpflichtet wird, jeden Freitagnachmittag von fünf bis sieben Uhr - also zur Sabbat-Zeit - nur für Juden offen zu halten. Aus der "Judenmetzig" wurde dann schon bald eine mitfühlende, hilfs- und opferbereite Frau.

In "Unruhige Nacht" muss ein deutscher Wehrmachtspfarrer 1942 in der Ukraine in einer einzigen Nacht gleich drei Menschen Mut, Kraft und Trost geben: einem Deserteur, der am nächsten Morgen hingerichtet wird, aber auch dem Amtsbruder, der das Erschießungskommando befehligen soll. Einem Hauptmann schließlich, der am folgenden Tag nach Stalingrad fliegen wird, ermöglicht er eine Nacht mit seiner Verlobten.

Schon in den 50er Jahren wurde "Unruhige Nacht" nicht nur gelobt. Manchen war "das leise, aber unerbittliche 'Nein'" von Goes zu wenig. Und die christliche Haltung, auch einen ungerechten Tod im Glauben zu akzeptieren, werteten Kritiker als falsches politisches Signal. Aber Goes war nicht nur ein Dichter, der die individuellen Schicksale dieser Nacht so eindringlich erzählte, dass man sie wohl nicht mehr vergisst. Er hat seine Erfahrungen auch in seinem vielfältigen politischen Engagement gegen Krieg und für Versöhnung verarbeitet.

Was an beiden Erzählungen heute besonders auffällt: wie genau Goes den Jargon und die Verhaltensrituale der Nazifunktionäre zu Hause und der nazistischen Überzeugungstäter im Krieg wiedergibt. Der Kriegsrichter über die Hinrichtung: "Morgen früh 'n anständiges Vaterunser. Punkt. Schluß mit Jubel." Aber auch gegenüber zynischen Militärs will Goes nicht ungerecht sein, er sieht selbst bei ihnen Zeichen der Verzweiflung. Auch im Krieg sucht er nach menschlichen Gesten und Worten - und er findet sie.