Die Gekreuzigten heutiger Zeit geraten in den Blick

Blick auf das Geheimnis der Liebe Gottes

21. März 2008


Ein Mann wird durch die Stadt getrieben. Er trägt ein Kreuz. Soldaten begleiten ihn und treiben ihn. Die Menschen am Straßenrand bleiben stehen, gaffen, spotten – und gehen mit, denn das, was da kommt, scheint sie zu interessieren. Hinaus aus der Stadt, auf den Berg Golgatha – die Schädelstätte. Der Mann, der sein Kreuz trägt, ist Jesus von Nazareth – geschlagen, zum Tode verurteilt, mit der Dornenkrone gekrönt unterwegs zu seiner Kreuzigung.

Am Karfreitag erinnern sich die Christen daran, dass Jesus an einem Freitag gekreuzigt wurde, gestorben ist. Es bleibt dieses Bild, wie Maria, die ihn einst geboren, genährt, geschützt hat, der vom Kreuz genommene Leichnam in den Schoß gelegt wird: Die trauernde Mutter, die ihren Sohn beweint, die Pieta.

Karfreitag ist ein wiederkehrender Feiertag mit wechselndem Datum, das sich nach dem Vollmond im Frühjahr richtet. Er fällt in diesem Tag auf den 21. März – einer der frühest möglichen Termine für den Karfreitag. Aber deshalb drängt sich ein anderes Bild zwischen die Erinnerung an die Ereignisse damals in Jerusalem: In diesen Tagen vor fünf Jahren vielen die ersten Bomben auf Bagdad – der Irakkrieg begann: „Operation Iraqui Freedom“. Fünf Jahre später ist zu erkennen, dass die verheißene Befreiung nicht stattgefunden hat. Der geplante Siegeszug der Freiheit wurde für die Menschen im Irak zu einem leidvollen Kreuzweg.

Und so erinnern irakische Mütter an die Pieta, an die Mutter des Menschensohnes, die den Leichnam ihres Sohnes im Schoß hat. Irakische Mütter wachen nachts schweißgebadet auf. Es verfolgt sie der Alptraum, dass sie mit ihren Kindern auf dem Gemüsemarkt einkaufen, während ein Selbstmordattentäter seinen Sprengstoffgürtel zündet. Und auch manche amerikanische Mütter schreckt in der Nacht auf: Nachts, irgendwo auf einem Militärflughafen in den USA, werden Zinksärge mit getöteten US-Soldaten ausgeladen. Den Müttern, Frauen und Kindern bleiben Erinnerungen, eine Entschädigungszahlung und vor allem ratlose, ja verzweifelte Ohnmacht.

Es sind so viele Geschichten zu erzählen. Der Ratsvorsitzende, Bischof Wolfgang Huber benennt einige davon in seiner Karfreitagspredigt: „Vermummte muslimische Milizionäre enthaupten im Oktober 2006 den vierzehnjährigen Ayad Tariq um sechs Uhr morgens an seinem Arbeitsplatz, weil er ein „dreckiger christlicher Sünder“ sei.

Sunnitische El-Kaida-Milizionäre übernehmen im März 2007 das Bagdader Dora-Stadtviertel und treiben von den christlichen Familien die Kopf-Steuer ein. Jede Familie soll 190 Dollar Schutzgeld zahlen. Wenn die Familienmitglieder das Geld nicht aufbringen können, sollen sie am Freitag ein Familienmitglied zur Moschee schicken, das zum Islam überzutreten habe. Am Freitag, dem Tag des Kreuzestodes Jesu. Familien, die dies ablehnen, haben allenfalls noch einen Ausweg, um der drohenden Ermordung zu entgehen. Sie müssen ihre Häuser innerhalb von 24 Stunden verlassen, ohne etwas mitzunehmen. Sie gehören dann über Nacht zu den mehr als vier Millionen Irakern, die sich auf der Flucht befinden.

Erzbischof Paulos Farradsch Raho, der Erzbischof der chaldäisch-katholischen Kirche wird Ende Februar 2008 im Nordirak entführt. Inzwischen wurde seine Leiche in der Nähe der Stadt Mossul gefunden; ob er umgebracht wurde oder an den Folgen der Entführung starb, ist bisher ungeklärt. Ihn kann man mit Namen nennen; aber unendlich viele Opfer dieser Gräuel bleiben namenlos.“

Am Karfreitag wendet sich der Blick nicht nur dem Gekreuzigten auf Golgatha zu, sondern auch die Gekreuzigten dieser Tage geraten in den Blick. Sie kommen in den Gesichtskreis für alle, die auf das Kreuz Jesu schauen, obwohl ihr Leiden uns sprachlos machen kann.

Der Karfreitag erinnert, dass Gott an der Seite derer steht, deren Würde missachtet wird. Der Gottessohn war der Allerverachtetste und Unwerteste, voller Schmerzen und Krankheit. Er war so verachtet, dass man das Angesicht vor ihm verbarg. Dafür, diesen Verachteten zu achten, den Unwerten wert zu schätzen, unser Angesicht nicht länger vor ihm zu verbergen, gibt der Karfreitag Zeit. Zeit für seine Schmerzen, seinen Tod. Mit diesem Gedanken schließt Wolfgang Huber seine Karfreitagspredigt: „Nur wer auf diesen Gottesknecht schaut, hat einen Blick für das Geheimnis der göttlichen Liebe.“