Was ist ein guter Gottesdienst?

Workshop im Rahmen des Reformprozesses "Kirche der Freiheit im 21. Jahrhundert"

25. Februar 2008


Gerd Kerl beginnt mit Jesus. Im Markusevangelium wird berichtet, wie Jesus in seiner Heimatstadt Nazareth gepredigt hat. „Und hinterher hieß es: ‚Er wunderte sich über ihren Unglauben’  – daran sieht man, dass Qualität in der Predigt allein noch nicht zum Glauben führt“, sagt der Leiter der Arbeitsstelle für Gottesdienst und Kirchenmusik in Villigst. Die Zuhörer lachen. Sie haben sich nämlich kein einfaches Thema für die nächsten anderthalb Tagen vorgenommen. 40 Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus den Gliedkirchen der EKD sind ins Kirchenamt nach Hannover gekommen, um in einem Workshop über die Qualität von Gottesdiensten nachzudenken.

Dieser Workshop ist Teil des Reformprozesses, der im Sommer 2006 vom Rat der EKD mit dem Impulspapier „Kirche der Freiheit“ angestoßen wurde. Dieser Impuls wurde auf dem Zukunftskongress im Januar 2007 in Wittenberg aufgenommen und in vielen kirchlichen Leitungsgremien diskutiert, konkretisiert und weiterentwickelt. Die EKD-Synode in Dresden hat im November 2007 mit ihrer Kundgebung „Evangelisch Kirche sein“ vielfältige Anregungen aus dem Diskussionsgang aufgenommen und gebündelt. Die leitenden Gremien der EKD haben beschlossen, sich besonders den drei Themenbereichen „Qualitätsentwicklung (besonders in Gottesdienst und Kasualien), missionarische Herausforderung sowie Leitungs- und Führungsverantwortung“ zu widmen. Der Workshop beschäftige sich mit der Qualität von Gottesdiensten, erklärte Oberkirchenrat Thies Gundlach zu Beginn, dies lasse sich aber kaum vom zweiten Schwerpunkt, den missionarischen Herausforderungen, trennen.

Der Untertitel des Workshops laute „Von anderen lernen“, erläuterte Oberkirchenrat Thies Gundlach weiter. „Das bedeutet, dass wir voneinander lernen wollen, aber auch von Betrachtern, die von außen kommen.“ Und so bildeten drei Impulsreferate aus dem kirchlichen Bereich den Auftakt. Pfarrerin Sylvia Bukowski aus Wuppertal identifizierte einige Bereiche, an denen im weiteren Verlauf der Tagung weiter gearbeitet werden kann: Qualität braucht Zeit, stellte sie fest – inmitten vielfältiger Erwartungen an den Pfarrer oder die Pfarrerin muss diese Zeit zur Gottesdienstvorbereitung erst mal gefunden werden. Qualität braucht Know-How – und wie kann es gelingen, die Fähigkeiten und Kenntnisse der verschiedenen Beteiligten besser zu vernetzen? Motivation und Kontrolle sind weitere Stichworte. Prof. Helmut Schwier von der Universität Heidelberg ergänzte dies durch seine Thesen: Ein gelungener Gottesdienst müsse verschiedene Traditionen und Situationen integrieren, er müsse „Entscheidendes für das Leben zu denken und zu deuten geben“, den Körper in Bewegung bringen, Rituale verständlich vermitteln und auf Gott und das Evangelium verweisen.

Der nächste Redner hatte die Lacher auf seiner Seite, als er schmunzelnd auf die „immerhin auch über hundertjährige Tradition“ seines Hauses verwies. Der Direktor des Hotels Atlantic Kempinski in Hamburg, Sebastian Heinemann, berichtete, wie es in seinem Hotel gelungen ist, nicht nur den Umsatz, sondern auch die Mitarbeiterzufriedenheit in den vergangenen Jahren deutlich zu steigern. Das Geheimnis liegt für ihn in festen Unternehmenswerten, die dem Einzelnen einerseits Verlässlichkeit und Sicherheit, andererseits aber auch genügend Freiraum zur Entfaltung bieten. Dies motiviere die Mitarbeitenden, selbst kreativ zu werden. „Wenn es gelingt, die Mitarbeitenden davon zu überzeugen, dass sie am Gelingen des Gesamtkonzeptes mitwirken können, haben Sie ein gutes Rezept für Qualitätssteigerung“, sagte Heinemann. Die Psychotherapeutin Ingeborg Stein übertrug Fragen aus dem Alltag ihrer Klinik auf den Bereich der Kirche: „Wer – außer Gott – beauftragt Sie, und was sind die Erwartungen Ihrer Kunden? Und wie definiert sich Erfolg: durch volle Kirchen, neue Mitglieder oder lebendige Gemeinden?“

Und dann wurde die Außenperspektive direkt mit dem Gottesdienstgeschehen in Verbindung gesetzt. Das Projektbüro für den Reformprozess hatte Menschen aus drei Berufszweigen gebeten, sich Gottesdienste anzusehen und ihre Erfahrungen und Beobachtungen zu berichten. Den Auftakt machte der Dramaturg und Theaterwissenschaftler Jan Kauenhowen, und sofort war zu spüren, mit wie viel Leidenschaft er sich dem Thema widmet. Die Fragestellung habe ihn zunächst zum Nachdenken über die Qualität des Theaters verführt, erzählte er, und berichtete von Beobachtungen, die sowohl für das Theater wie für den Gottesdienst gelten. „Wir erleben die Tendenz, dass ein Text nicht mehr gründlich dechiffriert, also untersucht und erläutert wird. Stattdessen folgt nach einem kurzen Blick auf den Text sofort ein Urteil. Der Text wird als Anlass für Eigenständiges genommen.“ Er sprach von Entritualisierung und wie früher die Damen vor dem Theaterbesuch extra zum Friseur gegangen sind. Nach einem raschen Blick auf die Uhr versprach Kauenhowen, seine weiteren Einsichten per Email zur Verfügung zu stellen und konzentrierte sich auf seine Erfahrungen mit evangelischen Gottesdiensten.

„Wenn ich in einen Gottesdienst gehe, wünsche ich mir, dass ich für Gott geöffnet werde, so dass Gott einen Zugang zu mir findet.“ Er betonte die Rolle des Pfarrers oder der Pfarrerin als „Leitbildpersönlichkeit“. „Bei den Liturgen ist der Mut zur Persönlichkeit zu wenig entwickelt“, beklagte er. Leidenschaftlich plädierte er für eine mutige, unverzagte Interpretation der Schrift, die aus dem persönlichen Ringen des Liturgen mit dem Text entspringt. Eine Formulierung, die der Referent nach ihm gerne aufnahm. Malte Lehming, leitender Redakteur beim Berliner Tagesspiegel, berichtete von seinen Erfahrungen, wenn ihn der Text eines Reporters nicht berührt. „Es kann vorkommen, dass der Schreiber alle Regeln befolgt hat. Dann kann ich nur sagen: Du hast alles richtig gemacht – aber irgendwie warst du nicht dabei.“ Selbst perfekt geschriebene Reportagen können seltsam emotionslos bleiben. Dann müsse man fragen: „Was hat dich an dem Geschehen besonders bewegt? Und warum?“ Jan Kauenhowen ergänzte: „Die Jünger Jesu hatten dauernd Probleme mit dem, was Jesus gesagt hat. Ich kann nicht glauben, dass uns das anders gehen sollte.“ Auch für den Marketingberater Andreas Bauer ist „Ringen“ ein zentraler Begriff. „Wenn einer mit dem Text gerungen hat, dann kann er mich abholen und mich weiterbringen durch das, was er selbst erkannt hat.“

Die vielfältigen Anregungen wurden am Abend des ersten Tages durch eine kreative Arbeit an einem Problembereich, der Frage des gemeindlichen Feedbacks, konkretisiert. Mit Hilfe von Nadja Schnetzler und Oliver Berger von der Firma BrainStore AG wurden Ideen entwickelt, wie solch eine Rückmeldekultur in den Gemeinden aussehen kann.

  • Am zweiten Tag ging es um die Aufgaben für die weitere Arbeit und um die Frage, wie man die Anregungen zurück spiegeln kann in die Arbeit der Gliedkirchen, der Werke und der wissenschaftlichen Theologie. Als drei zentrale inhaltliche Ziele zeichneten sich ab:
  • die Entwicklung und Förderung intelligenter Feedback-Systeme. Dazu bedarf es einer wissenschaftlichen Klärung, die der „Theologie des Messens“ nachgeht.
  • die Stärkung grundständiger Professionalität. Hier gilt es Überlegungen weiterzuentwickeln, wie das lebenslange Lernen, gleichsam die dritte Ausbildungsphase, weiter zu fördern ist.
  •  die Eröffnung und Pflege von Verdichtungsräumen. Es braucht die strukturelle Pflege von geistigen Freiräumen, um „theologisch ringen“ zu können. Dies gilt es in konkreten Modellen zu erproben und auszuwerten.