Vor 65 Jahren wurden die Geschwister Scholl ermordet

Aufrecht und ohne mit der Wimper zu zucken in den Tod

22. Februar 2008


Als das Telefon am 22. Februar 1943 bei dem Münchner Gemeindepfarrer Karl Alt klingelte, ahnte der Theologe, dass ihm wieder eine schwere seelsorgerliche Aufgabe bevorstand. Denn Karl Alt musste als Gefängnispfarrer im Münchner Zentralgefängnis Stadelheim im Dritten Reich die evangelischen Todeskandidaten auf ihrem letzten Weg begleiten. Diesmal wurde er zu den Geschwistern Scholl gerufen, die wegen Widerstands gegen das NS-Regime zum Tode verurteilt worden waren.

Wie sich Pfarrer Alt erinnert, trat er "bebenden Herzens" in die Zelle des 25-jährigen Studenten Hans Scholl, weil er Sorge hatte, ob er dem jungen Mann in der "allzu kurz bemessenen Frist" wirklich beistehen könne. Hans Scholl hatte jedoch genaue Vorstellungen, wie seine letzte Stunde ablaufen sollte: Er wollte den Bibeltext "Das hohe Lied der Liebe" (1. Korinther 13) und den 90. Psalm "Herr, Du bist meine Zuflucht" hören und das Abendmahl empfangen.

Auch mit Sophie, der 22-jährigen Schwester von Hans Scholl, sprach der Pfarrer ein Gebet und feierte das Abendmahl, bis der Wächter an die Zellentür klopfte. Sophie habe, so der Pfarrer in seinen Notizen, "aufrecht und ohne mit der Wimper zu zucken" einen letzten Gruß an ihren Bruder Hans gerichtet, der direkt nach ihr zur Hinrichtung geführt wurde.

Die Geschwister Scholl stammten aus einem bürgerlichen, christlich geprägten Elternhaus und wuchsen in Ulm auf. Ihre religiösen Grundüberzeugungen führten Hans und Sophie Scholl zum Widerstand gegen das NS-Regime. Als Medizinstudent wurde Hans im Sommer 1942 an die Ostfront geschickt und erlebte hautnah die Brutalität des Krieges und die Vernichtung der Juden.

Zusammen mit gleich gesinnten Studenten wie Alexander Schmorell, Willi Graf und dem Hochschullehrer Kurt Huber bildeten die Geschwister die Widerstandsgruppe "Weiße Rose". Mit illegal hergestellten und an der Münchner Universität verteilten Flugblättern riefen sie zum aktiven Eintreten gegen die Nazis auf.

Der Uni-Hausmeister Jakob Schmied beobachtete die Geschwister Scholl, wie sie am 18. Februar 1943 im Lichthof der Universität ihr Flugblatt auslegten, sperrte den Raum ab und übergab die beiden der Gestapo. Dafür wurde er mit einem Händedruck von Gauleiter Paul Giesler und einer Prämie von 6.000 Reichsmark belohnt. In einem spektakulären Verfahren nach dem Krieg wurde Schmied 1946 zu fünf Jahren Haft verurteilt.

Die NS-Unrechtsjustiz machte mit den jungen Angeklagten kurzen Prozess: Von Roland Freisler, dem eigens aus Berlin angereisten Präsidenten des Volksgerichtshofs, wurden sie am 22. Februar in einem dreieinhalbstündigen Schnellverfahren zum Tod durch Enthauptung verurteilt. Das Urteil wurde noch am selben Tag im Gefängnis Stadelheim vollstreckt. Am 13. Juli 1943 wurden Kurt Huber und Alexander Schmorell hingerichtet, am 12. Oktober Willi Graf.

An die Geschwister Scholl erinnern heute Straßen und Plätze und die Namen von rund 150 Schulen in ganz Deutschland. Ihr letzter Begleiter Karl Alt starb 1954, gesundheitlich zermürbt von den Schrecken im Gefängnis Stadelheim, im Alter von nur 51 Jahren. Aber der Pfarrer ist nicht vergessen.

Das evangelische Dekanat hatte Karl Alt als einen möglichen neuen Namensgeber der bisherigen Meiserstraße in der Münchner Innenstadt ins Gespräch gebracht. Wegen massiver antisemitischer Äußerungen von Hans Meiser (1881-1956), dem ersten evangelischen Bischof in Bayern, hatte der Münchner Stadtrat die Umbenennung der Straße beschlossen. Nach einem Beschluss des Stadtrates vom Mittwoch soll sie künftig Katharina-von-Bora-Straße heißen.