Friedliche Lösung in Kenia immer unwahrscheinlicher

Kenias Kirchen versuchen "gemeinsame Brückenschläge"

04. Februar 2008


Erst hat er die verwüsteten Dörfer gesehen. Später die Überlebenden, wie sie auf diejenigen trafen, die die Feuer gelegt hatten. Mit Oppositionsführer Raila Odinga hat er gesprochen, auf Deutsch, lang, persönlich. Und natürlich auch mit der anderen Seite der Macht, mit Kalonzo Musyoka, dem Vizepräsidenten der Republik Kenia. Prälat Stephan Reimers, Bevollmächtigter des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), ist seit dem 30. Januar mit einer Delegation des Weltkirchenrates in Kenia unterwegs. „Living Letters“ hieß die Überschrift der Reise, eine Geste der Solidarität sollte sie sein und den Delegierten eine Momentaufnahme der Krise im ostafrikanischen Land vermitteln. Am heutigen Montag kehren die zehn Kirchenmänner und –frauen in ihre Heimatländer zurück.

Hoffnung? Hat Prälat Reimers nicht gespürt. Oder doch nur pro forma: Ja, es gibt die Vermittlungsversuche von Kofi Annan, dem ehemaligen Generalsekretär der Vereinten Nationen. „Solange Annan da ist, wird es wohl auch nicht zum Bürgerkrieg kommen“, mutmaßt der politerfahrene Kirchenmann. Pflichtschuldig klingt dieser Hinweis. Denn im Grunde scheint der EKD-Bevollmächtigte überzeugt: Eine friedliche Lösung der Konflikte in Kenia wird immer unwahrscheinlicher. Zu tief sind die Gräben zwischen den verfeindeten Ethnien, zu egoistisch und machtbesessen die politische Klasse. Und selbst wenn die politisch Verantwortlichen Veränderungswillen zeigten - Spielräume, ihn umzusetzen, hätten sie nicht. Denn die jeweilige Klientel kann, so Reimers, keine Kompromisse wollen.

Viel hat Raila Odinga den Kalenjin, den Luo und anderen ethnischen Minderheiten Kenias im Wahlkampf versprochen. Eine Landreform beispielsweise, einschneidende Maßnahmen gegen das von den Kikuyu, der größten kenianischen Ethnie, dominierte Establishment. Übergroß sind deshalb die Erwartungen Odingas’ Anhänger, existenziell die Ängste auf der anderen Seite. Zunächst hat es das Regierungslager deshalb mit Betrug versucht. „Auch Anne Töpfer, die deutschsprachige evangelische Pastorin in Nairobi, hat gemutmaßt, dass die Präsidentenwahl im Dezember manipuliert wurde. 200 Kenia-Schilling soll eine Stimmkarte wert gewesen sein.“

Nachdem diese Strategie fehlschlug, spielt das Regierungslager jetzt auf Zeit. Reimers konstatiert die Arroganz der Mächtigen: Irgendwann, so deren Kalkül, wird der Status Quo schon zementiert sein. Das kann Odinga nicht wollen. Ausgiebig hat der Bevollmächtigte mit dem Oppositionsführer, der seit seinem Studium in Magdeburg bestens Deutsch spricht, die kenianische Krise analysiert. Sein Fazit: „Odinga müsse im Grunde das Chaos immer wieder anfachen, um das Land unregierbar zu machen. „Das ist natürlich ein Spiel mit dem Feuer - und möglicherweise ist ihm die Situation längst entglitten.“

Und die Kirche? „Die Kirchen in Kenia haben sich auf beiden Seiten engagiert, abhängig von der ethnischen Zugehörigkeit“, hat der Prälat auf der ÖRK-Reise erkannt. Dennoch versuche man immer wieder „gemeinsame Brückenschläge“. Dazu gehört beispielsweise die Verabredung der katholischen und protestantischen Bischofskonferenz, am 15. Februar im Gebiet des Rift Valley eine ökumenische Trauerfeier für die Opfer der Gewalt zu halten.

Einen weiteren versuchten Brückenschlag konnte Stephan Reimers hautnah miterleben: Am vergangenen Wochenende hatten sich die ÖRK-Delegation und Vertreter des kenianischen Nationalen Kirchenrates nördlich der Stadt Nakuru ins Grenzgebiet zwischen den Siedlungen der Kikuyu und der Kalenjin begeben. Sie wollten dabei sein, wenn die verfeindeten Parteien erstmals nach den Kämpfen wieder aufeinanderträfen. „Wir haben uns auf dem nahen Berg versammelt“, berichtet der Bevollmächtigte, „dabei waren auch Menschen, die wenige Tage zuvor hier noch gemordet hatten. Sie versuchten jetzt, sich zu rechtfertigen. Das war eine sehr spannungsgeladene und dramatische Situation.“ Ein Fazit, das für Kenia derzeit wohl im Großen wie im Kleinen gilt.

Pressemitteilung des ÖRK "Kirchen in Kenia leisten Friedensarbeit - Land steht am Rande des Völkermords"