Vor dem Fasten: Karneval feiern

Danach Verzicht: „Fleisch, leb wohl“

01. Februar 2008


Karneval, in manchen Gegenden Deutschlands auch Fastnacht, Fasnet oder Fasching, ist die Zeit vor dem vierzigtägigen vorösterlichen Fasten. In deutschsprachigen Ländern beginnt die Karnevalszeit traditionell am Dreikönigstag und hat ihren Höhepunkt in der eigentlichen Fastnachtswoche vom „schmotzigen Dunschtig“ (Donnerstag) bzw. der „Weiberfastnacht“ bis zum Rosenmontag und Fastnachtsdienstag.

Der Name ist Programm: Ursprünglich aus dem Lateinischen carnem levare (Fleischwegnehmen) stammend wurde der Name volkssprachlich abgeschliffen und vereinfachend aus dem italienischen carne vale (Fleisch, leb wohl) abgeleitet. Dieses Fest galt als Abschied von der Zeit des Genießens. Und vor diesem Abschied hieß es, salopp gesagt, noch mal „richtig einen drauf zu machen“. Dies bedeutete einen gesellschaftlich und auch kirchlich akzeptierten Freiraum zur Ausgelassenheit, Fröhlichkeit und überschäumender Lebensfreude, auch zu „Völlerei und Üppigkeit“. Sozialpsychologisch hat der Karneval für viele Menschen eine Ventilfunktion für durch Alltagszwänge und gesellschaftliche Mechanismen unterdrückte Bedürfnisse.

Innerhalb dieses Freiraumes zur „Narretei“ hat sich in vielen Gegenden Deutschlands und Europas die Tradition herausgebildet, für diese Zeit die „Welt auf den Kopf zu stellen“ und eine „verkehrte Welt“ zu inszenieren: Zum Beispiel werden in einigen Gegenden Männer symbolisch durch das Abschneiden ihrer Krawatten „entmannt“ und damit ihrer Herrschaft beraubt. Gesellschaftliche Regeln und Konventionen werden außer Kraft gesetzt oder die weltliche oder kirchliche Herrschaft wird durch das Inthronisieren von Karnevalsprinzen und –prinzessinnen außer Kraft gesetzt. In mittelalterlicher Traditionen scheute man sich auch nicht, für diese Zeit „Pseudopäpste“ einzusetzen, kirchliche Rituale zu parodieren und kirchliche Hierarchien „auf den Kopf zu stellen“.

Der Karneval besaß damit eminent politische Funktion: Im Karneval hatten unter dem Schutz der Maskerade unterprivilegierte Schichten die Möglichkeit, den Herrschenden in Gesellschaft und Kirche die Meinung zu sagen und ihnen einen Spiegel in humoristisch-„närrisch“ verzerrter Form vorzuhalten .Der Karneval hatte damit eine gesellschaftliche Ventilfunktion. In abgeflachter Form hat sich diese politische Dimension des Karnevals bis heute in vielen ländlichen Gegenden und in politischen „Büttenreden“ erhalten.

Neben dieser politischen Funktion wird Karneval heute vornehmlich assoziiert mit rauschenden Festen und Partys, großen Umzügen mit viel Kreativität , traditionellen Maskenparaden, und unzähligen „Karnevalssitzungen“ mit mehr oder weniger geistreichem Humor. Ein ausgesprochener Reiz des Karnevals liegt, nicht nur für Jugendliche, im Maskieren und Verkleiden mit seiner Kreativität und dem damit verbundenen Rollen- und Identitätswechsel auf Zeit.

Kritik am Karneval seitens kirchlich gebundener Menschen aber auch seitens gesellschaftlich Verantwortlicher gibt es aus verschiedenen Gründen: Einerseits ist zu Karnevalszeiten eine Zunahme von Saufexzessen und Regelverletzungen zu verzeichnen: In der niedersächsischen Stadt Osnabrück beispielsweise haben sich in diesem Jahr – angesichts der massiven Zahlen von Alkoholvergiftungen auch unter 11 bis 13-jährigen Kindern, der Randaleexzessen und Sachbeschädigungen – der Oberbürgermeister, die Caritas und die Polizei in einem Brief an die Eltern junger Menschen gewandt und an ihre Vorbildfunktion erinnert.

Kritisch werden auch die zu Karnevalszeiten angeblich steigende Promiskuität, sexuelle Freizügigkeit und Beziehungsverletzungen sowie das Ausbrechen aus Konventionen und deren gesellschaftliche und sogar kirchliche Akzeptanz („am Aschermittwoch kann man ja beichten gehen“) gewertet. Viele Jugendgruppen in christlichen Kontexten bieten deshalb alternative Faschingsfreizeiten an, die zwar die Elemente des Feierns, des Verkleidens und Maskierens übernehmen, aber bewusst christliche Gegenakzente zu „Sex, Wein und Flachsinn“ setzen.

Mit dem Aschermittwoch beginnt die vierzigtägige vorösterliche Fastenzeit, während der traditionell das Verzehren von Fleischprodukten und sogar von aus Milch gewonnenen Speisen untersagt war. Ebenso galten natürlich meist auch Alkoholika und andere Genussmittel als verboten.

In diesem Verzicht steckt ein tiefer religiöser, geistlicher Sinn: Fasten hilft zur Reinigung des Körpers. Es dient der Konzentration auf andere Lebensdimensionen als vordergründige Genüsse. Dahinter steht ein energetisches Austauschmodell: Erst wer auf die Energiezufuhr durch irdische, profane Lebens- und Genussmittel verzichtet, ist bereit und präpariert, sich mit göttlicher Lebenskraft, dem Heiligen Geist, füllen zu lassen. Erst wer aus den Lebensbezügen des Alltags herausgeht, kann den Kraftraum Gottes betreten und die Fülle Gottes erfahren. Fasten ist darum die Vorbereitung zu einer intensiven und konzentrierten Gottesbegegnung.

Diese Erfahrung teilen alle Religionen. In der christlichen Gemeinde ist die Fastenzeit insbesondere die Vorbereitung auf intensive Christuserfahrungen in der Passions- und Osterzeit. Gleichzeitig bedeutet das persönliche „Erleiden“ des Verzichtes und der Askese in der Passionszeit die Möglichkeit, ein wenig des Leidens Christi in dessen Passion „mitzuerleben“ und ihm nachzuspüren.

Nur wenige Christinnen und Christen in unserem Kulturkreis unterziehen sich dem Fasten als einer geistlichen Übung im engeren Sinn. Allerdings bieten viele „geistliche Lebenszentren“ auch im Rahmen der Evangelischen Kirche zumindest in der Karwoche Tage der Konzentration verbunden mit Fasten und Gebetsübungen an, die von Menschen jeglichen Alters, darunter vielen Jugendlichen, genutzt werden.

Die Idee des Fastens hat gegenwärtig in anderer Form eine große Breitenwirkung durch die Fastenaktion der Evangelischen Kirche „Sieben Wochen ohne“ entwickelt. Rund zwei Millionen Menschen nehmen derzeit an dieser Aktion teil, indem sie auf liebgewordene Gewohnheiten und Genüsse wie Alkohol, Süßigkeiten Fernsehen oder anderes verzichten. In diesem Jahr steht die Aktion unter dem Motto: „Verschwendung – sieben Wochen ohne Geiz“ mit dem Aufruf, gleichzeitig ihre Mitmenschlichkeit, Großzügigkeit und Hilfsbereitschaft zu „verschwenden“. Diese Aktion beinhaltet neben ihrem religiösen Sinn auch starke politische und gesundheitliche Elemente und Selbstbestimmungssinn: „Ich kann auch ohne“.

Evangelische Fastenaktion "Sieben Wochen Ohne"