Das Pop-Art-Evangelium

Der russische Maler Dmitri Wrubel setzt biblische Szenen um

21. Januar 2008


Konzentriert zeichnet Dmitri Wrubel die letzten Striche seiner Grafik. Das Bild, dem ein Foto zugrunde liegt, zeigt eine bedrückende Szene. Zu sehen sind zwei obdachlose Jugendliche, die "lachen, obwohl es eigentlich überhaupt nichts zu lachen gibt", wie der Moskauer Künstler erklärt. Den Jugendlichen fehlen einige Zähne, sie sind verwahrlost und schmutzig. Vielleicht stehen sie unter Drogeneinfluss, mutmaßt Wrubel.

Unter dem Bild steht ein Bibelvers: "Da liefen ihm entgegen zwei Besessene; die kamen aus den Grabhöhlen und waren sehr gefährlich, so dass niemand diese Straße gehen konnte." Mit seinem Bild und dem Zitat aus dem Matthäus-Evangelium will Dmitri Wrubel Zustände der Gegenwart illustrieren. Zugleich will er die Bibel in einen modernen Kontext stellen.

Der russische Pop-Art-Künstler hat es sich zur Aufgabe gemacht, seinen Landsleuten auf diese Art die Bibel näher zu bringen. Insgesamt 80 Bilder im Großformat sollen im April ausgestellt werden. Der bekannte Galerist Marat Gelman will sie zur orthodoxen Osterwoche in Moskau präsentieren. Bereits jetzt ist absehbar, dass Wrubels Auffassung von der Bibel Diskussionen in Russland hervorrufen wird.

Wrubel, Jahrgang 1960, liebt es zu provozieren. Im Frühjahr 1990 malte er auf der Berliner Mauer den "Bruderkuss" zwischen Leonid Breschnew und Erich Honecker nach und wurde mit dieser Persiflage über Nacht berühmt. "Als die Fotografie 1981 gemacht wurde, blieb sie unbemerkt, aber wir haben es hinbekommen, dass das Bild bekanntwurde und die Fotografie danach auch", erzählt der Moskauer Künstler über seinen Erfolg.

Vieles hat sich seither geändert. Die Sowjetunion ist untergegangen, die wilden 90er Jahre, in denen Russland von neuer Freiheit, Anarchie und Armut gekennzeichnet war, sind einer stabileren, aber auch restriktiveren Zeit gewichen. Wrubel ist seinem Stil treu geblieben. Die Objekte seiner Kunst entstammen heute wie damals der Aktualität: Politiker, Sportler, Oligarchen. Er malt den US-Präsidenten George W. Bush gemeinsam mit dem Terroristen Osama bin Laden, oder den russischen Präsidenten Wladimir Putin in einer Breschnew-Ordensjacke.

Meist dienen Fotos als Objekt der Verfremdung. "Vom Frischen das Ewige herauszusuchen", so umschreibt Wrubel seine Zielsetzung bei dem Bibelprojekt. Als Technik nutzt er dabei die Kombination von Foto und Zeichnung. Die Idee zu den "Evangelien" stammt bereits aus dem Jahr 1993. Doch damals scheiterte das Projekt an technischen Hürden. "Die Digitalisierung war einfach noch nicht weit genug, daher war die Suche nach den Fotos viel zu aufwendig", sagt Wrubel.

Inzwischen kann er die Fotoarchive der Nachrichtenagenturen weltweit durchstöbern, um das passende Motiv für den jeweiligen Bibelvers zu finden. Die Bilder illustrieren die Heilige Schrift bis in die Gegenwart auf teils erschreckende Weise. Der Kindermord des Herodes im Matthäus-Evangelium findet sein Äquivalent im Blutbad einer Schule im südrussischen Beslan. Das Wehklagen der Mütter im biblischen Rama lässt sich auf die weinenden Mütter von Beslan übertragen, die ihre Kinder beim Geiseldrama verloren haben.

Auf einem anderen Bild sieht man eine verzweifelte muslimische Bosnierin, die nach dem Massaker von Srebrenica unter einer Vielzahl von Gräbern ihre Angehörigen sucht. "Und die Engel sprachen zu ihr: Frau, was weinst du? Sie spricht zu ihnen: Sie haben meinen Herrn weggenommen, und ich weiß nicht, wo sie ihn hingelegt haben", (Johannes 20, 13) steht darunter. Andere Bilder sind eher ironisch, wenn beispielsweise die Verlegenheit der Jungfrau Maria im Gespräch mit Gott mit einem Bild von Paris Hilton unterlegt wird.

"Ich verstehe die Heilige Schrift über Bilder", sagt Wrubel. Daher will er auch seinen Landsleuten die Bibel mit Hilfe von Bildern näher bringen. Gott sei nicht nur in der Kirche und spreche in einem den Russen unverständlichen Kirchenslawisch. "Alles, was in der Bibel beschrieben wurde, ist auch heute noch aktuell und erlebbar. Dies ist die Aussage meines Projekts", erklärt Wrubel.