Stille Nacht?

Einladung zum Staunen

25. Dezember 2007


Geburten sind selten eine stille Angelegenheit, aber vielleicht geht es im Lied „Stille Nacht – Heilige Nacht“ um etwas anderes, überlegt Bischof Nick Baines in seiner Andacht. Dass Gott als neugeborenes Kind in unsere Welt kommt, lädt zum Innehalten und Stillwerden ein.

„Wem wollen sie so was erzählen? Erwarten die ernsthaft, wir würden das Zeug schlucken, das man uns in den Weihnachtsliedern vorgaukelt? Echt?

Ich meine »Stille Nacht, heilige Nacht«? In Israel? Warum wollen wir unbedingt glauben, die Nacht, in der Jesus geboren wurde, sei still oder besonders heilig gewesen? Irgendwie kommt mir das verdächtig vor. Ich vermute ein subtiles Komplott, einen schlauen Plan, für den die Verfasser der Weihnachtslieder sich zusammengerottet haben, um uns mit der Weihnachtsgeschichte so romantisch zu stimmen und einzulullen, dass wir ihre Botschaft verpassen. »Stille Nacht, heilige Nacht, alles schläft, einsam wacht ….« Tatsächlich?

Ich muss es ganz ehrlich sagen. Ich habe auch meine Probleme mit »Away in a manger«. »The little Lord Jesus no crying he makes.« Wie bitte?! Ein Baby, das nicht schreit? Das wäre mir neu. Das ist ein ziemlich unglaubliches Wunder, wenn Sie mich fragen!

Doch vielleicht beabsichtigten die Verfasser etwas damit. Vielleicht wollten sie nicht sagen, dass die Weihnachtsgeschichte unglaublich ist, sondern dass das Wunder, dass Gott auf die Erde kommt, überraschend leise vonstatten ging. Was ich damit sagen will, ist Folgendes: Wenn ich Gott wäre und beschließen würde, in die Welt zu kommen, die ich erschaffen hätte, um mitten unter diesen gewalttätigen und gierigen Wesen zu leben, die die Menschheit genannt werden,
dann würde ich mit Pauken und Trompeten auf dem Planeten Erde landen. Dann gäbe es ein großes Tamtam, der Himmel würde sich öffnen, sämtliche Aktivitäten auf dieser Welt würden abrupt gestoppt werden, und es gäbe absolut keinen Zweifel daran, wer hier der Boss ist. Ich würde auf meinem Status thronen und mit ein bisschen Macht um mich werfen.  Auch Blitz und Donner würde es hageln.

Aber was macht Gott? Er kommt als einer von uns und wie einer von uns auf die Welt. Er wird in einer Zeit der astronomisch hohen Säuglingssterblichkeitsrate als Säugling geboren, und das im Hinterland eines unwirtlichen Gebiets, das vom römischen Reich besetzt ist. Er unterwirft sich Krankheit, Unfall, Unterdrückung und Ungerechtigkeit. Eines Tages wird das Holz seiner Krippe zum Holz seines Galgens. Seine junge Mutter, die schon Witwe ist, ist bei der Hinrichtung ihres Sohns dabei, und ihre verzweifelte Liebe bohrt ihr ins Herz wie ein Schwert.

Bruce Cockburn hat es so ausgedrückt:

Wie ein Stein auf der Oberfläche eines stillen Stroms,
der für immer Wellen schlägt,
so schlägt die Auferstehung Wellen
auf der Oberfläche der Zeit
im Schrei eines winzigen Säuglings.

Gott bricht zwar in eine einsame und verwirrte Welt ein, doch er tut dies fast inkognito. Er nimmt seinen Platz unter uns ein und macht sich für alles, mit dem unser Leben ihn bewerfen kann, verwundbar. Keine Pauken und Trompeten. Kein Anspruch auf »Rechte« oder Macht. Er wird nur in der Stille der Nacht von einem jungen Mädchen in eine wunderschöne und zugleich beängstigende Welt geboren. Und indem er das tut, flüstert er in die Stille hinein: »Now you know I am for you; I am on your side.« / Jetzt wisst ihr, dass ich wegen euch gekommen bin; ich bin auf eurer Seite. Vielleicht brauche ich die Stille einer Nacht, um die Kraft dieser stillen Nacht zu begreifen.“

Weitere Texte von Nick Baines sind zu finden im gerade auf Deutsch erschienenen Buch "Am Rande bemerkt. Alltägliche Begegnungen mit Gott", Lutherisches Verlagshaus, Hannover, Vorwort von Dr. Petra Bahr, ISBN 978-3-7859-0969-0, 144 Seiten, 12,90 €