Orte der Reflexion

Evangelische Akademien sind seit 60 Jahren Zentren geistiger Orientierung

08. November 2007


Für Bundeskanzler Konrad Adenauer (CDU) waren die Evangelischen Akademien wichtige Mitstreiter bei der Demokratisierung. Ohne sie könne eine "staatspolitische Gesundung der Jugend nicht erreicht werden", lobte der "Alte aus Rhöndorf" im November 1951 bei einem Treffen mit Akademieleitern. "Spiegel"-Herausgeber Rudolf Augstein nannte sie einmal das Beste, "was den Kirchen nach dem Zweiten Weltkrieg eingefallen ist". Aus Anlass der 60-jährigen Tradition Evangelischer Akademien findet am Donnerstag in der Französischen Friedrichstadtkirche in Berlin ein Festakt statt.

Vor rund 60 Jahren ist die erste Evangelische Akademie in Deutschland gegründet worden. Mit "Tagen der Stille" begann Ende September 1945 im baden-württembergischen Bad Boll die Akademiearbeit. Der Einladung des ersten Ratsvorsitzenden der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) und württembergischen Landesbischofs, Theophil Wurm (1868-1953), waren damals rund 160 Juristen, Ökonomen und Theologen gefolgt. Heute gibt es 15 evangelische und 26 katholische Akademien in der Bundesrepublik.

Gegründet wurden die Evangelischen Akademien ab 1945 als "Antwort von Christen auf die Zerstörung des Geistes, den Vertrauensbruch staatlicher Macht und den Völkermord durch die Nationalsozialisten", wie es in ihrer Selbstbeschreibung heißt. Auf institutioneller Ebene handelte es sich in der Tat um eine Neuentwicklung, auch wenn Ansätze in die Weimarer Republik und die NS-Zeit zurückreichen.

Die Akademien verdanken ihre Existenz in erster Linie der grundsätzlichen Bereitschaft der Besatzungsmächte, den Kirchen die Regelung ihrer Angelegenheiten selbst zu überlassen und sie zum geistigen und moralischen Wiederaufbau heranzuziehen. Der entscheidende protestantische Anstoß kam vom ersten Direktor der Evangelischen Akademie Bad Boll, Eberhard Müller.

Müller und der von ihm dominierte Leiterkreis der Evangelischen Akademien trugen mit ihrem dezidierten Eintreten für die Politik der Bundesregierung, für Wiederbewaffnung und Westintegration, wesentlich dazu bei, dass die Akademien als förderungswürdig erachtet wurden. Sie erhielten, wie der Historiker Rulf Treidel herausfand, zwischen 1953 und 1962 rund ein Viertel ihrer Einnahmen aus Bundesmitteln.

In der Anfangszeit wurden die Akademien auch sehr stark von der US-amerikanischen Besatzungsmacht, den US-Kirchen und der Wirtschaft unterstützt. Dass sich die Unternehmen so spendenfreudig zeigten, hing vor allem damit zusammen, dass in den Akademien ein Programm angeboten wurde, das für die soziale Marktwirtschaft warb und Arbeitgeber- und Arbeitnehmerinteressen zu versöhnen suchte.

Während im westlichen Teil Deutschlands die Akademien bald zu einem unverzichtbaren Teil der politischen Kultur wurden, mussten sie in der ehemaligen DDR unter wesentlich schwierigeren Bedingungen arbeiten. Sie wurden dort zu einem der wenigen Orte kritischer Diskussion und Reflexion.

Die Bildungseinrichtungen finanzieren ihre Arbeit heute aus kirchlichen und öffentlichen Mitteln sowie Spenden und Tagungsbeiträgen. Besonders der Einbruch der Kirchenfinanzen macht den Bildungsträgern zurzeit zu schaffen. Ein Warnsignal war die Schließung der Evangelischen Akademie Nordelbien mit ihren beiden Standorten in Hamburg und Bad Segeberg Ende 2003.

Die Akademien - seit Jahrzehnten innovative Podien für Politik, Wissenschaft und Kultur - bekamen in den vergangenen Jahren durch TV-Talk-Shows Konkurrenz. Doch ein Blick in die Tagungsprogramme zeigt, dass Prominenz aus Politik, Wirtschaft und Kultur noch immer die geschützten Räume einer gepflegten Diskussionskultur jenseits einer medienbestimmten Öffentlichkeit schätzen.

Evangelische Akademien in Deutschland