Glaubensverwandtschaft über Jahrhunderte

Martin Luther und Paul Gerhardt als überzeugte Vertreter ihres Glaubens

29. Oktober 2007


„Ein feste Burg ist unser Gott“ – das bekannteste Reformationslied von Martin Luther wird am Mittwoch in vielen Reformationsgottesdiensten angestimmt. Vermutlich wurde es auch bei den Feiern zum 100. Reformationsjubiläum 1617 gesungen. Ein Jahr später brach der 30-jährige Krieg aus: Die Menschen sind stolz auf ihre Konfessionskultur und kämpfen erbittert gegen die Überzeugung der anderen. Identität durch Abgrenzung führt zu einer kriegerischen Grundstimmung. 1517 veröffentlichte Martin Luther die 95 Thesen und löste damit die Reformation aus, 101 Jahre später brach der 30-jährige Krieg aus, der das Leben und die Dichtung von Paul Gerhardt prägte. Beide waren überzeugte Anhänger ihres Glaubens und ihrer Konfession: Sie lebten zwar in verschiedenen Jahrhunderten, hatten aber viel gemeinsam: Störrisch werden wie Esel konnten sie, dunkle Tage kannte jeder von beiden. Petra Bahr, Theologin und Kulturbeauftragte des Rates der EKD, hat ihren Gemeinsamkeiten in der in Berlin erscheinenden Wochenzeitung „Unsere Kirche“ nachgespürt:

„Die beiden berühmten Protestanten haben mehr gemeinsam als man denkt. Musik haben sie beide geliebt. ‚Die Erfahrung bezeuget, dass nach dem heiligen Wort Gottes nichts so billig und hoch zu rühmen und zu loben ist als eben die Musica.’“

Auch Luther sei Liederdichter gewesen, erinnert die Kulturbeauftragte: „Er hat im Jahr 1538 eine richtige kleine religiöse Musiktherapie geschrieben. Denn Luther kannte sich aus mit den Affekten des Menschen. Das ganze Herz, der ganze Mensch soll von dem Gedanken ergriffen werden, dass Gott uns frei macht – vor der Welt und vor uns selbst, vor den Abgründen, die um uns lauern und vor denen, die wir in uns spüren. Das hat Paul Gerhardt auch geglaubt. Mit allen Sinnen soll der Glaube Ausdruck finden.

Dabei waren beide gewiefte Rhetoriker und scharfe Denker. Und sie haben sich mit der Musik nicht in ein Refugium religiöser Gemütlichkeit geflüchtet. Im Gegenteil. Ihre Überzeugung sollte auch da Gehör finden, wo es zugig wird und kalt um Nase und Herz. Martin Luther hat das Kloster verlassen und sich mitten in die Welt begeben. Paul Gerhardt hat mitten in dieser Welt seine Lieder gedichtet. Deshalb sind sie auch so vollgesogen mit echten Erfahrungen echter Menschen.

Beide hatten dunkle Tage, an denen es auch tags nicht hell werden wollte, weil Zweifel und Traurigkeit wie bittere Galle schmeckten. Paul Gerhardt nennt diese Zeiten „Schwermuthhöhlen“. Luther nennt diese Phasen „Anfechtungen“, Kämpfe, die er mit dem Teufel ausfechten musste. Dem Teufel, der ihm einflüsterte, aufzugeben, ruhig zu halten, einzuknicken, um des lieben Friedens willen.

Diese beiden Melancholiker des Glaubens konnten störrisch werden wie Esel. Und sie standen für ihre Überzeugungen ein, auch wenn sie damit Leib und Leben riskierten. Martin Luther beruft sich immer wieder auf die Freiheit des Gewissens, die ihm kein Fürst dieser Welt nehmen könne. Paul Gerhardt kann den Gedanken nicht ertragen, dass der Fürst in Brandenburg bis in die Predigten Berliner Pfarrer hineinregieren will. Das kann er sich nicht gefallen lassen, auch wenn es ihn schlussendlich sein Amt kostet.

Für beide ist Gott der gute Kirchen- und Weltberater, an dem sich alle geborenen, gewählten und ernannten Führer messen lassen müssen. Martin Luther und Paul Gerhardt, das sind Wahlverwandte, die sich vermutlich sogar ganz gut verstanden hätten. Der eine aß gerne und ist mit seinen Tischreden in die Geschichte eingegangen. Der andere war Brauerssohn und hat sich noch in seinen letzten Lebensjahren mit dem Stadtrat von Lübben über eine Biereinfuhrgenehmigung gestritten.

Immer wieder will uns jemand vormachen, die beiden Großen des Protestantismus seien wegen ihrer vorbildhaften Glaubenskraft asketische, lebensferne Geister gewesen. Das Gegenteil ist der Fall. Wer sich ihre Texte auf der Zunge zergehen lässt, der schmeckt etwas von der Kraft, der Neugier und der Lust am Leben. Die Freiheit des Glaubens macht ja auch im Umgang mit ganz weltlichen Dingen frei gegenüber aller Versklavung der Wünsche und Gedanken. Und wem die Welt ein Geschenk ist, der kann sich an ihr freuen. Die Ethik der Dankbarkeit ist das Testament, das beide zusammen unterschrieben haben.“

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