Ernte ja – Dank nein?

Zum Erntedankfest

28. September 2007


Wochenlange Trockenheit, dann tagelang Regen. Alle reden vom Wetter -- vor allem die Bauern, denn sie sind darauf angewiesen. Das Wetter war heuer "sub-optimal", wie ein Junglandwirt es ausdrückt. Ähnlich die damit einhergehende Ernte. Der Junglandwirt ist froh um das, was er "noch reinbekommen hat", wie er sagt. Ist er auch dankbar für seine Ernte? "Warum dankbar?", grinst er, schließlich habe er mit Müh und Not und unter Stress und Hektik die Ernte eingebracht; fürs Wetter könne er ja nichts und dass die Erzeugerpreise endlich einmal ansteigen, das wäre ohnehin fällig gewesen.

Am Sonntag nach dem Michaelistag feiert man in der Evangelischen Kirche traditionell das Erntedankfest. Dankbarkeit Gott gegenüber für die Ernte ist der Schwerpunkt  dieses Festtages. Landwirtschaftliche Produkte kommen nicht einfach so aus den Regalen des Supermarktes. Die Ernte gerät uns immer mehr aus dem Blick, gar in Vergessenheit. Ihr Wert wird nicht mehr geschätzt. Wir haben so viel Getreide, dass fast 20% der angebotenen Backwaren als nicht verkaufter Überschuss täglich abends vernichtet werden. Und die Diskussion um "Heizen mit Weizen" ist längst eröffnet. Warum sollen wir die Ernte dann noch als Schatz wahrnehmen? Schätze sind verborgene, verloren gegangene Dinge. Schätze sind teuer, wertvoll und werden daher auch sorgfältig bewacht, ge- und behütet. Geld, Schmuck, Juwelen -- das sind gemeinhin die klassischen materiellen Schätze, die Reichtum versprechen. Sie sind auch gemeint, wenn es biblisch heißt "Du sollst Dir keine Schätze sammeln". Aber die Ernte als Schatz?

Einst war auch Essen bei uns eine Kostbarkeit, weil es nicht selbstverständlich war, abends satt zu Bett zu gehen. Aber je mehr wir von etwas haben, um so weniger wertvoll wird es. Standardisierte Massenware ist zwar begehrt, wie wir als Verbraucher im Discounter erleben, doch wohl kaum noch geschätzt. Sogar eher das Gegenteil: gering geschätzt. Achtlos, ja nahezu abschätzig und abwertend gehen wir mit der Billigware um.

"Was nix koscht, ist nix wert", heißt es im Schwäbischen. Dabei ist Nahrung  ein bleibender Wert -- ein Schatz. Er sichert unser Leben, unser körperliches wie seelisches  Wohlbefinden. Das merkt man erst, wenn der Teller leer bleibt. In vielen Ländern der Welt ist Essen immer noch eine Kostbarkeit -- ein Stückchen Brot, eine Schale mit Reis, eine Handvoll Gemüse. 800 Millionen Menschen hungern weltweit, sie sehnen sich nach solchen Schätzen, die wir aus dem Blick verloren haben, weil sie eben anscheinend selbstverständlich sind.

Wie können wir die vielfältigen Ernteschätze des Landes wieder neu entdecken? Indem wir uns wieder auf unsere Sinne konzentrieren: Augen, Geruch und Geschmack beim Einkaufen, Kochen und Essen einsetzen und das Genießen neu erlernen. Indem wir unseren Blick nicht von oberflächlichen und verführerischen Werbebotschaften verstellen lassen. Indem wir die Ernteschätze als Geschenk unseres Schöpfergottes sehen, mit denen wir achtsam und in Würde umgehen sollen.