"Für uns wurden sogar Autobahnen gesperrt"

"Neue Offenheit" beim Olof-Palme-Friedensmarsch vor 20 Jahren in DDR hielt nur kurze Zeit

29. August 2007


So etwas hatte es bis dahin nicht gegeben: Als im Herbst 1987 mehrere europäische Initiativen mit dem Olof-Palme-Friedensmarsch für ein atomwaffenfreies Mitteleuropa demonstrieren, dürfen sich in der DDR neben staatlich organisierten Teilnehmern erstmals auch unabhängige und kirchliche Gruppen beteiligen. Das Symbol "Schwerter zu Pflugscharen", dessen Träger bisher regelmäßig kriminalisiert worden waren, ist auf dem Marsch vom 1. bis 18. September ebenso erlaubt wie Losungen jenseits der üblichen Propaganda.

Statt Konfrontation erleben die Teilnehmer zwischen Stralsund und Dresden überwiegend Entgegenkommen und Unterstützung. "Für uns wurden sogar Autobahnen gesperrt", erinnert sich die Präses der Synode der EKD, Barbara Rinke. Die damals 40-jährige Thüringerin aus Nordhausen gehörte zu den etwa 500 Menschen, die im Rahmen des Friedensmarsches auf einem 85 Kilometer langen Pilgerweg zwischen den nördlich von Berlin gelegenen KZ-Gedenkstätten Ravensbrück und Sachsenhausen unterwegs waren.

Das Kreuz der "Aktion Sühnezeichen" sei nicht zu übersehen gewesen, berichtet die heutige SPD-Oberbürgermeisterin ihrer Heimatstadt. Unterwegs seien sie immer wieder von Bürgermeistern, Schuldirektoren, Pfarrern und anderen Amtsträgern begrüßt worden. Als Zeichen der Hoffnung pflanzten sie Bäume und hielten Andachten. "Und in Nassenheide haben wir uns alle vor einem Gedenkstein versammelt und dort der Ansprache eines Genossen zugehört", fügt Rinke hinzu.

Der Friedensmarsch nahm eine Idee des im Februar 1987 ermordeten schwedischen Premiers Olof Palme auf, der für Europa zwischen Ost und West einen 300 Kilometer breiten Korridor ohne Atomwaffen vorgeschlagen hatte. Die Route führte durch die DDR, die Bundesrepublik, die Tschechoslowakei und Österreich. Den DDR-Oberen passte eine breite Beteiligung offenbar gut ins politische Kalkül: Eine Ausgrenzung hätte offizielle Friedensbekenntnisse ebenso diskreditiert wie die kurz zuvor vorgelegten Thesen von SED und SPD zum Dialog über die gemeinsame Sicherheit der Systeme.

Schließlich sollte der mehrfach verschobene Bonn-Besuch von Staats- und Parteichef Erich Honecker im September 1987 nicht ein weiteres Mal gefährdet werden. So wurde der Olof-Palme-Friedensmarsch auch zur ersten legalen Demonstration der unabhängigen ostdeutschen Friedensbewegung. Deren Forderungen waren nicht zuletzt auf spürbare Veränderungen in der DDR gerichtet. "Abrüstung in Kindergarten und Schule" stand auf den Plakaten oder "Atomwaffenfrei - waffenfrei - frei" und "Weiter so, Gorbi!".

Für Christen sei der Friedensmarsch "ein erster, bewegender Versuch zu gegenseitiger Offenheit, Vorsicht und Rücksichtnahme im Dienste des neuen Denkens" gewesen, befand der Wittenberger Pfarrer Friedrich Schorlemmer zum Abschluss in der Dresdner Kreuzkirche. Dort wurden jedoch auch andere Erfahrungen laut: In Torgau drängte die Staatsjugend FDJ die Christen an den Rand, die ihren Marsch nach Riesa ohne Spruchbänder antreten mussten. In Dresden wurde eine Fortsetzung des Weges bis zur CSSR-Grenze als "Provokation" verboten.

Gut zwei Monate später ist es mit "gegenseitiger Offenheit" und "neuem Denken" in der DDR endgültig vorbei. Bei einer Nacht- und Nebel-Aktion der Staatssicherheit werden am 25. November in der Ost-Berliner Umweltbibliothek sieben Bürgerrechtler festgenommen sowie Unterlagen und Technik beschlagnahmt. Am 17. Januar 1988 nehmen Sicherheitsleute über 100 Personen fest, nachdem am Rand der Ost-Berliner Gedenkkundgebung für Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg Plakate zur "Freiheit der Andersdenkenden" zu sehen waren. Abschiebungen von Oppositionellen blieben an der Tagesordnung.

Trotz dieser Rückschläge sei der Friedensmarsch auf dem Weg zum Herbst 1989 in der DDR "ein ganz zentrales Ereignis" gewesen, betont Präses Rinke im Rückblick auf die Situation vor zwei Jahrzehnten: "Damals war etwas in Bewegung geraten, was nicht mehr zurückgedreht werden konnte."

Quelle: Evangelischer Pressedienst (epd)