Lutheraner im Herzen der Calvinstadt

Vor 300 Jahren feierten deutsche Kaufleute ihren ersten Gottesdienst in Genf

22. August 2007


Auf dem zentralen Platz der Genfer Altstadt pulsiert das Leben: Fußgänger, Händler und Touristen formen eine bunte Mischung. Jahrhunderte alte Gebäude umrahmen den Place Bourg de four, die Sonne beleuchtet die pittoreske Szene im Herzen der Westschweizer Metropole. "Ja, unsere Kirche steht an einem der schönsten Plätze der Stadt", sagt Pfarrer Ekkehard Lagoda. "Es ist schon ein Privileg, für die Evangelisch Lutherische Kirche in Genf tätig sein zu dürfen."

Diesen Sommer aber wünscht sich der 51-Jährige etwas weniger Arbeit: Die Gemeinde feiert 300 Jahre Lutherischen Gottesdienst in Genf. Und Pfarrer Lagoda muss bei der Organisation natürlich besonders ran. Das Jubiläum der ältesten Auslandskirche in Genf erreicht am 28. August mit einem Festakt seinen Höhepunkt. An diesem Tag vor exakt 300 Jahren, am 28. August 1707, feierten Lutheraner in Genf ihren ersten Gottesdienst.

Vorangegangen war die Aufhebung des Edikts von Nantes 1685. In der Folge verloren auch die lutherischen deutschen Kaufleute im französischen Lyon ihre Gottesdienststätten. Mit Unterstützung des Preußenkönigs Friedrich I. wandten sie sich an den Magistrat des streng calvinistischen Genf. Die Lutheraner baten darum, in der Rhonestadt ihren Gottesdienst feiern zu dürfen. Die Genfer sagten Ja und so begann eine große lutherische Tradition in diesem französischsprachigen Teil Europas.

Nur einmal, 1745, kam es laut der Chronik zu einem Konflikt mit dem Genfer Konsistorium: Die Lutheraner verletzten die strengen Regeln der Kirchenzucht durch verpönte Kurzweil wie Kartenspiel und Besuche in Schank- und Tanzlokalen. Seitdem aber vertragen sich beide Seiten hervorragend.

Auch die Auflage der Genfer, dass der lutherische Kirchenbau von außen nicht als Gotteshaus erkennbar sein darf, hat die Beziehungen nicht getrübt. Die pfiffigen Lutheraner haben das Fehlen eines Glockenturmes an ihrer Kirche aus dem Jahr 1762 nie wirklich bereut. Denn sie feiern ihre Gottesdienste immer dann, wenn in der benachbarten reformierten Kathedrale der Gottesdienst stattfindet: Das Geläut der Kathedrale erschallt auch für die Lutheraner.

Lagodas Gemeinde profitiert auch von einem anderen klaren Standortvorteil: Genf beherbergt viele internationale Einrichtungen. Vor allem aber ist es die Stadt der Ökumene: Der Weltkirchenrat, der Lutherische Weltbund, der Reformierte Weltbund und die Konferenz Europäischer Kirchen haben hier ihren Sitz.

Viele Deutsche arbeiten für die Kirchenbünde, die UN und Firmen. Sie wollen einen deutschsprachigen Gottesdienst nicht missen. "Für die meisten der 1.000 Gemeindemitglieder ist es sehr wichtig, dass sie den Gottesdienst in deutscher Sprache erleben können", meint Lagoda. "Das ist auch ein Stück Heimat." Zu den Gottesdiensten finden sich zumeist 80 bis 90 Menschen ein.

Die Gemeinde bietet ihren Mitgliedern auch andere Aktivitäten: Konzerte, Kinderbetreuung und einen Wirtschaftskreis. "Wir wollen die Globalisierung kritisch durchleuchten und aus christlicher Perspektive diskutieren", sagt Friedrich von Kirchbach, der Leiter des Wirtschaftskreises. Die Lutheraner helfen Bedürftigen auch direkt: Jeden Samstag organisiert die Gemeinde eine Speisung für Arme, sie unterstützt Entwicklungsprojekte in Kenia, Brasilien und Guatemala.

Die Arbeit in den armen Ländern liegt Lagoda besonders am Herzen: Der Düsseldorfer verbrachte zwei Jahre bei der Mission im damaligen Zaire. Auch in Köln und im Saarland betreute er evangelische Gemeinden. Die sechsjährige Aufenthalt in Genf aber ist für den Theologen der Höhepunkt seiner Laufbahn. "Wenn ich in drei Jahren wieder weg muss, wird das meiner Frau, den vier Kindern und mir sicherlich sehr schwer fallen", gesteht er und schaut noch einmal auf das herrliche Panorama der Genfer Altstadt.


Evangelisch-Lutherische Kirche in Genf

Ökumenischer Rat der Kirchen (ÖRK)

Lutherischer Weltbund (LWB)

Konferenz Europäischer Kirchen (KEK)

Reformierter Weltbund