"Stadt der religiösen Toleranz"

Kirchen in Friedrichstadt bieten spirituelle Stadtführungen an

22. Juni 2007


Mit seinen Kanälen, Brücken und Giebeln gleicht Friedrichstadt einer holländischen Idylle. Die wenigsten Touristen wissen jedoch, dass der kleine nordfriesische Ort mit seinen 2.500 Einwohnern seit Jahrhunderten als "Stadt der religiösen Toleranz" gilt. Lutheraner, Remonstranten, Mennoniten, Katholiken und Juden leben seit jeher friedlich miteinander. Der Kieler Landtag schlug ihn deshalb 2004 zusammen mit archäologischen Sehenswürdigkeiten der Region als UNESCO-Weltkulturerbe vor. Jetzt bieten die Kirchen gemeinsam Stadtrundgänge an.

Holländische Remonstranten gründeten die Stadt 1621 mitten im 30-jährigen Krieg in der sumpfigen Niederung der Treene. Herzog Friedrich III. hatte die protestantischen Remonstranten, die von den Calvinisten wegen ihres freiheitlichen Glaubens verfolgt wurden, nach Schleswig-Holstein geholt. Religiöse Toleranz war den holländischen Stadtgründern ein zentrales Anliegen. So wurde keine Kirche am Markt gebaut, weil keine Religion Überlegenheit demonstrieren sollte.

Heute hat Friedrichstadt die einzige Remonstranten-Kirche außerhalb der Niederlande. Ein Altar fehlt, weil er nur vom gesprochenen Wort ablenken würde. Remonstranten haben kein einheitliches Glaubensbekenntnis und fühlen sich allein ihrem Gewissen verpflichtet. 80 Gemeindemitglieder leben heute in Friedrichstadt, rund 100 außerhalb.

Vor drei Jahren haben sich die fünf Kirchen und die jüdische Gedenkstätte zusammengetan, um den zahlreichen Touristen die religiöse Vielfalt näher zu bringen. "Das ist ein Schatz, den man einfach nutzen muss", sagt der evangelische Pastor Michael Jordan. Für Gruppen bietet er auch spirituelle Führungen mit Gebet und Segen an.

In Friedrichstadt durfte 1625 auch erstmals nach der Reformation nördlich der Elbe eine katholische Messe gefeiert werden. Allerdings ging die Toleranz damals nicht so weit, dass ein Bischof einreisen durfte. So konnte die erste katholische Kirche 1846 nicht offiziell geweiht werden. Schon vier Jahre später stürzte sie ein. Betroffen reagierte die Stadt, als das Erzbistum Hamburg die Nachfolgekirche St. Knud vor vier Jahren entwidmete und die Reliquie nach Husum überführte. Es fehle an Geld und gemeindlicher Aktivität, hieß es. Jetzt soll der Maler und Bildhauer Otmar Alt St. Knud zur Kunstkirche umgestalten.

Erst 1644 wurde die evangelische Kirche gebaut. Wie könne man hier predigen, schrieb einer der Pastoren an den Herzog, wenn man um sein Brot betteln, geschmolzenen Schnee trinken und auf Stroh schlafen müsse. Heute ist die finanzielle Situation für Pastor Jordan besser. Dennoch ist er stetig auf der Suche nach Geldquellen, um die Sanierungskosten von derzeit 550.000 Euro aufzubringen.

Rund 400 Mennoniten lebten um 1700 in Friedrichstadt. Sie gründeten sich im 16. Jahrhundert aus der Täuferbewegung. Und weil sie als fleißige Kaufleute galten, durften sie sich in Friedrichstadt ansiedeln. Einmal im Monat feiern rund 30 Gemeindemitglieder einen Gottesdienst. Ihre Jugendlichen gehen zum Konfirmanden-Unterricht in die evangelische Gemeinde und werden dann in der eigenen Kirche getauft. Gäste der Mennoniten-Kirche sind die dänischen Lutheraner, deren Gemeinde rund 100 Mitglieder zählt.

Auch Quäker, schwedische Kirchen-Separatisten, Zeugen Jehovas und Mormonen siedelten sich zeitweise in Friedrichstadt an. Juden durften hier im 18. Jahrhundert Grundbesitz erwerben und Handel treiben. Bis Anfang des 19. Jahrhunderts wuchs die Gemeindezahl auf über 400 an. Die tolerante Tradition hielt die Friedrichstädter Nazis nicht davon ab, die Synagoge in der Reichspogromnacht 1938 zu verwüsten und das kostbare Inventar an einen Altmetall-Händler zu verkaufen. Eine Jüdische Gemeinde existiert nicht mehr, die einstige Synagoge ist heute eine Gedenkstätte.

Für Pastor Jordan beschränkt sich religiöse Toleranz aber nicht auf die Geschichte. Eine muslimische Gemeinde hat der Ort zwar nicht, doch gewährte die Gemeinde 2002 einer von Abschiebung bedrohten siebenköpfigen Kurden-Familie Kirchenasyl. Die Aktion war erfolgreich: Das Verwaltungsgericht stellte fest, dass die Yeziden-Familie wegen erlittener Folter nicht in die Türkei abgeschoben werden dürfe.

Friedrichstadt: "Stadt der religiösen Toleranz"

Autor: Thomas Morell (epd)