Die Bergpredigt war ein Anfang

Europa feiert den Weg des Friedens


An diesem Wochenende ist Europa zu Gast in Berlin. Die Staatschefs aus den 27 europäischen Ländern haben sich angesagt, die Mitglied in der Europäischen Union sind. Dass sich die ranghöchsten Vertreter europäischer Staaten treffen, hat einen guten Grund: Die Europäische Union feiert Geburtstag. Ein halbes Jahrhundert wird sie alt. Die Namen hat sie gewechselt im Lauf dieser Zeit – wie das ja auch im menschlichen Leben vorkommt. Zunächst handelte es sich um eine Wirtschaftsgemeinschaft. Sie begann mit einer biblischen Einsicht: "Vergebung, nicht Vergeltung!“ So lautete das Credo von Robert Schuman, dem französischen Außenminister in den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg, der die Idee, europäische Staaten müssten enger zusammen arbeiten, konsequent verfolgte. Durch seine Initiative bot Frankreich trotz der bedingungslosen Kapitulation Deutschland eine gleichberechtigte Partnerschaft an. Dabei hatten sich beide Länder die Jahrhunderte davor als Erzfeinde bezeichnet. Der Gedanke eines Robert Schumans war neu. Es durchbrach die Tradition europäischer Friedensverträge, die oft Diktate der Sieger über die Besiegten waren. Er nahm den vergebenden Gedanken der Bergpredigt in die Politik auf.

Die Römischen Verträge vom 25. März 1957 waren eine Wende in der europäischen Geschichte. Die Ziele waren hoch gesteckt. "Friedenssicherung durch wirtschaftliche Kooperation" hieß das Konzept. Die Kraft, auf die Versöhnung verfeindeter Nationen zu vertrauen, verdankten viele der damaligen Akteure ihrem christlichen Glauben. Seitdem ist die Idee der europäischen Integration unumkehrbar. Am Anfang stand die Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl. Daraus wurde die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft. Bald darauf machte man sich daran, die Hindernisse für den freien Verkehr von Waren, Dienstleistungen und Kapital zu beseitigen. Das gemeinsame Vorgehen war so erfolgreich, dass die Mitgliedsstaaten sogar bereit waren, erhebliche Teile ihrer Souveränität auf die Gemeinschaft zu übertragen.

Damals war Europa noch geteilt. Ein Eiserner Vorhang trennte Ost und West. Die Bereitschaft zur Vergebung und die Gefährdung durch atomares Wettrüsten lagen nahe beieinander. Die Wende von 1989/90 machte es möglich, dass Versöhnung und Frieden auf den ganzen Kontinent ausgedehnt wurden. Jetzt haben wir eine Europäische Union. Aus den anfänglich sechs Mitgliedsstaaten wurden inzwischen 27.

Im europäischen Regelungsdickicht von heute gerät die ursprüngliche Idee manchmal in Vergessenheit. Den Frieden durch wirtschaftliche Zusammenarbeit zu sichern, ist ein treffliches Konzept. Aber Vergebung an die Stelle der Vergeltung treten zu lassen, ist ein revolutionärer Gedanke. Seinen Ursprung hat er in der Bergpredigt Jesu. Mich wundert, warum man so selten an die Geschichte der Europäischen Union denkt, wenn gefragt wird, ob man mit der Bergpredigt Politik machen könne. Man kann. Die Geschichte Europas der letzten 50 Jahre hat es gezeigt.

Die Pflicht, für Gerechtigkeit und Frieden einzutreten, gilt auch für andere Regionen der Erde. Die Erfahrungen aus Europa können helfen, dort auch Wege in die Zukunft zu finden: etwa bei der Unversöhnlichkeit im Nahen Osten ebenso wie für die Tragödie in Darfur. Frieden ist niemals selbstverständlich; doch wo Europa sich für ihn einsetzt, bekennt es sich zu seinen Wurzeln. Die erhoffte europäische Verfassung wird in ihrem Kern eine Friedensordnung sein. Sie sollte deshalb auch Auskunft geben über den Geist, der diese Ordnung bestimmt.