Nüchterner Appell und sinnlicher Humor

Eberhard Jüngel erzählt eine Geschichte von Abraham und Lot

27. Januar 2007


„Es begegnen sich Wirtschaftsinteressen und Glaubensentscheidungen; da begegnen sich Vertrauen in Gottes Verheißung und ein Appell an menschliche Vernunft. Da begegnen sich Verzicht und überfließender Reichtum.“ Der Rat der EKD hat zu einem Kongress in die Lutherstadt Wittenberg eingeladen, um über die Zukunft der evangelischen Kirche zu diskutieren und zu beraten. Doch die genannten Begegnungen beschreiben in erster Linie nicht den Kongress, sondern fassen mit den Worten des Theologieprofessors Eberhard Jüngel eine biblische Geschichte zusammen.

Der Vater des Glaubens, Abraham, ist mit seinem Neffen Lot unterwegs, erzählt die Geschichte aus dem ersten Buch der Bibel. Als kleinviehzüchtende Halbnomaden waren sie ständig auf der Suche nach Weideplätzen für ihren Reichtum, die Tiere. „Reichtum braucht Platz,“ erklärt der Theologe Jüngel, „viel Platz: Raum für Mensch und Tier, Lebensraum.“ Deshalb sei zwischen Abraham und Lot der Konflikt unausweichlich, „wenn der Reichtum des einen mit dem Reichtum des anderen ins Gehege kommt“. Und Eberhard Jüngel weiß: „Ein Konflikt aufgrund überfließenden Reichtums – nein, dergleichen droht der Evangelischen Kirche in Deutschland nicht.“ Befreites Lachen mitten während der Bibelarbeit. Die über 300 Teilnehmenden des Kongresses fühlen ihre Probleme in der biblischen Geschichte aufgenommen. Humor gehört ebenso zu diesem Kongress wie die Nachdenklichkeit und das Ringen um eine vernünftige Lösung.

Der „nüchterne Appell an die menschliche Vernunft“ ist bei dem Grandseigneuer evangelischer Theologie so sinnlich, dass alle in dem nach Bohnerwachs und Plaste riechenden Raum plötzlich den würzigen Boden und die reifen Früchte im Leben der Nomaden in Palästina erahnen. Und die satten, saftigen Farben der Geschichten von „Abraham und Lot unterwegs“ eröffnen den Blick auf völlig ungewohnte Farben.

Der Appell an die menschliche Vernunft greift in der Konfliktgeschichte zwischen Abraham und Lot. Der Appell an die menschliche Vernunft gilt auch den 300 Teilnehmenden an ihrem letzten Beratungstag des Zukunftskongresses der EKD. Nachdem Abraham und Lot einen Weg aus ihrem Konflikt gefunden haben und ihren Konflikt gelöst haben, in dem sie klar unterschieden und getrennt hatten, bauen sie einen Altar zur Ehre Gottes: „Und so hoffen wir, dass die „Kirche der Freiheit“ auf ihrem Weg durch das 21. Jahrhundert immer wieder einmal so frei ist, Gott einen Altar zu bauen mit Gedanken, Worten und Werken. Wo immer wir Gott Dank sagen und ihn ehren, da ist, da ereignet sich die Kirche der Freiheit.“

In diesem Sinne ereignete sich nach der Bibelarbeit „Kirche der Freiheit“, als die Kongressteilnehmenden „Nun lasset Gott dem Herren Dank sagen und ihn ehren“ aus dem Evangelischen Gesangbuch anstimmten. Aufmerksame Beobachter nahmen wahr, dass selbst die Gäste und Journalisten auf der Empore mit sangen. Sie halten sich sonst gern mal zurück, wenn es kollektiv sinnlich wird.