“Per non dimenticare! – Lasst uns nicht vergessen!”

Gedenken an die Befreiung von Auschwitz

26. Januar 2007


Im Erinnern sind die Deutschen gut. Gedenktage gibt es ohne Ende: Deutsche haben einen Gedenktag für die Gründung des 1. Deutschen Reiches und einen für die Bedingungslose Kapitulation des 3. Deutschen Reiches. Deutsche haben natürlich einen Erinnerungstag für die Konstituierung des 1. Deutschen Reichtages 1949, selbstverständlich den Gedenktag an die Reichspogromnacht und an den Bombenabwurf auf Hiroshima. Viele denken aber auch an den 2. Weltkrieg und die damit verbundenen Gräueltaten. Am 27. Januar jährt sich wieder die Befreiung des größten deutschen Konzentrationslagers Auschwitz-Birkenau und damit der Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus.

Zum Glück gibt es dazwischen auch Anlässe, an die man sich gerne erinnert:

Das schwarz-rot-goldene Sommermärchen in Deutschland, wer könnte das vergessen! Wehende Fahnen, ausgelassene Fans, Millionen Menschen im Jubeltaumel. WM 2006 in Deutschland und die Welt zu Gast bei Freunden. Ein Slogan, ein Programm. Das war nicht immer so.

Am 27. Januar 2004 liefen die Teams der italienischen A und B-Ligen mit einem Slogan auf ihren T-Shirts ins Stadion ein, den zunächst niemand verstand: „Per non dimenticare!- Lasst uns nicht vergessen!“  Die Kapitäne der Heimmannschaften erklärten die Botschaft: Am 27. Januar 1945 befreite die Russische Armee das Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau, das größte Vernichtungslager im nationalsozialistischen Deutschland. Ein Tag der Erlösung für die Gefangenen, auch für die italienischen Leidensgenossen unter ihnen. Der Slogan „Per non dimenticare“ sollte dazu aufrufen, die 8000 Italiener jüdischen Glaubens, die in den nationalsozialistischen Lagern ums Leben kamen, nicht zu vergessen. Der Appell ging noch weiter: die Trainer riefen die Fans auf den Rängen und vor den Fernsehschirmen auf, sich für Verständigung und Toleranz zwischen den unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen einzusetzen, damit Antisemitismus, Rassismus und Fremdenfeindlichkeit keine zweite Chance bekommen.

Der Ideengeber der Aktion und Sprecher der jüdischen Gemeinde in Rom, Dottore Riccardo Pacifi, bat in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung darum, dieses  Konzept doch auch in anderen europäischen Vereinen einzuführen und sich so eindeutiger gegen Rassismus, Antisemitismus und  Diskriminierung in den Stadien und der Gesellschaft auszusprechen.

Die  Evangelische Versöhnungskirche in der KZ-Gedenkstätte Dachau griff diese Idee auf. Die Gottesdienstbesucher der Versöhnungskirche  schlugen zusammen mit den „Löwenfans gegen Rechts“ aus München der Deutschen Fußball-Liga (DFL) vor, gemeinsam einen „Erinnerungstag im deutschen Fußball“ einzuführen. Die DFL nahm das Anliegen ernst und bat 2005 alle Vereine der 1. und 2. Bundesliga, diese Idee auch im heimischen Stadion zu übernehmen. Noch im selben Jahr setzten die ersten Bundesligavereine die Idee um. Unter dem Motto „Gedenken, um nicht zu vergessen“ wurde in den Clubmagazinen, auf den Internetseiten und mit Stadiondurchsagen über den Anlass und das Ziel des Erinnerungstages informiert und dazu aufgerufen deutlich „Nein!“ zu sagen, zu Ausgrenzung, Hass und Gewalt – im Stadion und außerhalb.

Die gemeinsame Aktion der evangelischen Versöhnungskirche Dachau und der DFL setzte sich durch. Auch 2006 wurde wieder in beiden Bundesligen deutschlandweit am Tag der Befreiung von Auschwitz der „Erinnerungstag im deutsche Fußball“ begangen. Das Konzept ging auf, da sich Kirche und Sport sich zu ihrer gemeinsamen Verantwortung für Völkerverständigung, Versöhnung und Integration bekennen.

Alles etwas übertrieben? Keineswegs. Menschenverachtende Parolen wie „Zickkzack, Zigeunerpack“ oder  „Auschwitz ist eure Heimat, eure Häuser sind die Öfen“ haben rein gar nichts mehr mit süffisanten oder derben Fangesängen zu tun. Und leider haben sie keinen Seltenheitswert.

Wer sich als Fan oder Spieler auskennt, der erlebt an ganz normalen Spieltagen, wie farbige Spielern beleidigt und jüdischen Teamkameraden antisemitische Beschimpfungen an den Kopf geworfen werden.

Die Wurzeln liegen in der Zeit des nationalsozialistischen Terrorregimes. Menschen, die durch das Raster der nationalsozialistischen Rassenideologie fielen, wurden systematisch ausgegrenzt, verfolgt und ermordet. Diese Ideologie machte weder vor berühmten Künstlern, Schauspielern noch Fußballspielern halt. So wurde zum Beispiel auch der deutsch-jüdische Nationalspieler Julius Hirsch vom Karlsruher FV wie alle jüdischen und kommunistischen Vereinsmitglieder und aktiven Spieler Anfang 1933 auf Anordnung des DFB aus ihren Heimatvereinen ausgeschlossen.

Beim ersten Spieltag der Rückrunde, ab dem 26. Januar 2007 findet zum dritten Mal der „Erinnerungstag im deutschen Fußball“ statt und wieder sind alle Fans dazu aufgerufen, den Sportlern und all den Menschen zu gedenken, die aufgrund ihrer Religion, ihrer Herkunft oder Überzeugung verschleppt und ermordet wurden. Erinnern bedeutet, den Opfern und ihren Familien Anteilnahme und Respekt entgegen zu bringen und ihnen dadurch ein Stück ihrer Würde zurück zu geben, die ihnen genommen wurde.

Erinnern, das bedeutet aber auch viel Mut und Arbeit und die Verpflichtung, aus der Geschichte zu lernen. Erinnern bedeutet, den ganz alltäglichen Rassismus, die Fremdenfeindlichkeit und den Antisemitismus wahrzunehmen und dagegen anzugehen. Für den Verein aber auch jeden einzelnen Fan bedeutet das,  „Halt!“ zu sagen, wenn Menschen auf dem Fußballplatz, auf den Tribünen und im Stadion beleidigt, diskriminiert und ausgegrenzt werden.

Anstrengend! Aber wer an den letzten Sommer denkt, der weiß, dass es geht. Und dass es sehr gut geht.

Per non dimenticare!

Hinweis: Im Gedenken an Julius Hirsch schreibt der Deutsche Fußball-Bund (DFB) alljährlich den Julius-Hirsch-Preis aus