Nationalismus-Debatte:

Können wir stolz sein auf Deutschland?

08. Juni 2001


Die Debatte um das unklare Selbstwertgefühl der Deutschen bricht immer wieder auf, sei es im Streit um eine Leitkultur oder in den Debatten um Zuwanderung und Nationalstolz. Dürfen wir wieder stolz sein darauf, Deutsche zu sein? Oder nur ein bisschen froh? Richtet sich Nationalstolz gegen andere oder ist er gerade die Grundlage für ein selbstbewusstes Leben mit Menschen anderer Nationalitäten? Diesen Fragen will am kommenden Montag, 19 Uhr, die kirchliche Talkshow „Tacheles“ in der hannoverschen Marktkirche nachgehen. Tacheles geredet werden soll mit Wolfgang Schäuble (CDU), Sally Perel (Überlebender der Judenverfolgung), Emine Demirbüken (Ausländerbeauftragte in Berlin-Schöneberg), Liedermacher Wolf Biermann und mit Robert Leicht (Journalist und Mitglied des Rates der EKD). Leicht sagte vorab in einem Beitrag für „Tacheles“:

„Der Satz "Ich bin stolz ein Deutscher zu sein!" ist ungefähr der dümmste, der mir je untergekommen ist. Aber deshalb sagt ja auch der Volksmund: Dummheit und Stolz wachsen auf einem Holz. Niemand würde sagen: "Ich bin stolz ein Christ zu sein!" Aber warum nun gerade: ein Deutscher? Alles, was uns Deutsche erträglich (oder gar liebenswert) erscheinen lässt, haben andere auch: Anstand, Bildung, demokratische Verfassung, soziale Stabilität. Dinge und Verhältnisse freilich, die nur wir haben und gegen die sich alle anderen entschieden haben, sind gerade deshalb nichts, was des Selbst-Ruhmes würdig wäre. Und worauf müsste der nach Deutschland eingebürgerte Türke stolz sein - etwa auf Mozart, weil der den Türkenmarsch (alla turca) geschrieben hat? Aber Mozart war ja ein Österreicher... Wenn ich auf etwas stolz sein wollte, müsste ich doch dieses Etwas selber getan haben. Aber gerade dafür, dass ich Deutscher bin, habe ich reineweg gar nichts getan. Ach, sagen Sie, liebe(r) Leser(in), das Thema laute doch in Wirklichkeit: "Können wir stolz sein auf Deutschland?" Aber was hätte ich, was hätten Sie konkret dazu beigetragen? Und zwar meine ich einen Beitrag, den ein Franzose oder Engländer zu seiner, zu unserer europäischen Zivilisation nicht geleistet hätte. Nun bin ich ein durchaus fröhlich gestimmter Mensch und fühle mich recht wohl in diesem Lande, mit allen seinen Vorzügen und allen seinen Schwächen. Ich lebe aber lieber heute in Deutschland, als ich dies zwischen 1933 und 1945 getan hätte - oder zwischen 1949 und 1989 in der DDR; manche tun heute so, als hätten sie lieber in der DDR gelebt als in den fünf neuen Ländern. Worauf sollen die stolz sein? Also: Man kann sich mehr oder weniger freuen über die Umstände in denen man lebt. Man kann sogar dankbar sein für die Umstände, in denen man in Deutschland lebt. Aber dann müsste man den Dank an jemanden, an einen Bestimmten, an viele richten, und zwar an jemanden, an viele andere, dem oder denen man es verdankt. Der Stolze dankt aber nur sich selbst - und denkt nur an sich selbst. Und das ist der Grund dafür, dass der Stolz rein als solcher durchwegs als Untugend gilt – als Überheblichkeit, als Eitelkeit. "Bewahre deinen Knecht vor den Stolzen!" (Psalm 19,14) Um es ganz einfach zu sagen: Ich kann mich über diese meine Kolumne freuen - aber doch nicht stolz darauf sein. Und Sie können dem Autor dankbar sein, aber doch nicht stolz auf ihn.“

Für alle, die nicht live in Hannover dabei sein können: Die Debatte wird am 12. Juni von 17.00 bis 18.30 Uhr in voller Länge auf „PHOENIX“, dem Ereignis- und Dokumentationskanal von ARD und ZDF übertragen.

Kirchliche Talkshow "Tacheles"