Von Torten, Schlummerkühen und Ungeheuern

Kinderbücher aus Entwicklungsländern können ein Fenster zur Welt sein

07. Dezember 2006


Sie erzählen von Tieren und Menschen, vom Verlieren und Finden, vom Großwerden und vom Anfang der Erde. Autoren aus Entwicklungsländern können Kindern ein Fenster zur Welt öffnen. Ihre Bilder- und Lesebücher sind mal heiter, mal ernst, mal geheimnisvoll. Die Initiative "Guck mal übern Tellerrand" nahm 2006 wieder Neuerscheinungen in ihre Empfehlungsliste auf: "Sich einlassen auf das vermeintlich Fremde, dazu laden diese Bücher ein."

Schwupp, und die Torte ist vom Gartentisch von Herr und Frau Hund gestohlen. Die Mäuse flüchten mit ihrer Beute und wirbeln das beschauliche Treiben der anderen Tiere durcheinander. Ein lustiges Such- und Erzählbuch hat der niederländisch-indonesische Autor Thé Tjong-Khing gestaltet. "Die Torte ist weg!" kommt ohne Worte aus. Wer lange schaut, entdeckt immer wieder Neues: Das Hasenkind verliert etwas, das Schweinchen verirrt sich, und ein Küken wird gerettet.

Völlig ohne menschliche Züge kommen die Tiere der indischen Malerin Durga Bai daher. In ihrem Zähl- und Reim-Bilderbuch "Eins, zwei, drei!" von Anushka Ravishankar ist die Ameise müde, die Schlummerkühe träumen, und die Hirsche hüpfen. Die Bäume sind stark und tragen sogar Elefanten. Alle Tiere bleiben ein wenig fremd und geheimnisvoll.

Es ist dieser andere Blick auf die Tierwelt, der Eva Massingue (52) fasziniert. "Nicht diese Verniedlichung, dieser Bambi-Blick", sagt die Journalistin und Ethnologin, die die Liste "Guck mal übern Tellerrand" erstellt. Empfohlen werden Bücher, die frei sind von Rassismus, Frauendiskriminierung, Eurozentrismus und Bevormundung im Umgang mit Menschen aus Entwicklungsländern.

Aber es geht auch um literarische Qualität. "Ein wirklich gut geschriebenes Buch verführt zur Identifikation mit dem Helden oder der Heldin und der jugendliche Leser findet sich in der geschilderten fremden Welt mühelos zurecht", erklärt die Tellerrand-Initiative. Sie wird getragen von der Gesellschaft zur Förderung der Literatur aus Afrika, Asien und Lateinamerika sowie der Deutschen Welthungerhilfe.

Auch Hermann Schulz, der frühere Leiter des Peter-Hammer-Verlags und 1938 als Sohn eines Missionars in Tansania geboren, hat es auf die Liste geschafft, obschon er kein echter Afrikaner ist. Seine Erzählung "Wenn dich ein Löwe nach der Uhrzeit fragt", jetzt als Taschenbuch erschienen, besticht durch den lakonisch-lausbubenhaften Stil, mit dem das Dorfleben geschildert wird.

In dem Buch muss der elfjährige Temeo in Tansania Geld auftreiben, weil der Vater einen schweren Unfall hatte. Und der Junge erweist sich als erstaunlich klug im Umgang mit amerikanischen Missionaren, muslimischen Händlern und europäischen Entwicklungshelfern. Ein Buch auch über das Ende der Kindheit.

Vom Abschiednehmen handelt auch "Das Haus der sechzehn Krüge" von Jane Vejjajiva. Ein neunjähriges Mädchen lebt bei ihren Großeltern in Thailand in einer friedlichen häuslichen Welt. Doch langsam wird klar, dass "die Person, nach der sich Kati mit jedem Atemzug sehnt", ihre schwer kranke Mutter ist. Einfühlsam schildert die Autorin, wie nahe sich Liebe und Trauer, Weinen und Lachen sein können.

Um Freud und Leid geht es auch in "Alles hat seine Zeit". In zarten Bildern legt die in Südafrika aufgewachsene Autorin Jude Daly den bekannten Bibelvers aus. Die Mythen anderer Religionen und die Weisheit der Völker leben in den "Schöpfungsgeschichten der Welt" von Benoît Reiss auf: Alexios Tijoyas hat die Geburt der Lebensader Nil in Ägypten und andere Legenden in starken Farben illustriert.

Wie Weihnachten und andere Feste in Mexiko gefeiert werden, zeigt die Künstlerin Carmen Lomas Garza in "Eine Piñata zum Geburtstag", das zweisprachig in Spanisch-Deutsch erschienen ist. Auf zwölf Bildtafeln wird gemeinsam gekocht, Heiligabend gefeiert und getanzt.

Großes Abenteuer bietet das Bilderbuch "Junger Adler" von Chen Jianghong. In gewaltigen Szenen erzählt der in Paris lebende Chinese von einem Waisenjungen, einem finsteren General und einem großen Meister der Kampfkunst. "Junger Adler" ist auch ein philosophisches Buch über das Lernen, das Besiegen des Schmerzes und das Streben nach Perfektion.

Im Urwald von Ghana muss unterdessen der kleine Magier Bonsu seine Abenteuer bestehen: Patrick Addai erzählt das Märchen "Das Schnarchen der Ungeheuer" mit Humor. Am Ende ist es die alte Frau mit dem wundervollen Bart, die Bonsu hilft, seine schwere Aufgabe zu erfüllen.

Empfehlungsliste der Gesellschaft zur Förderung der Literatur aus Afrika, Asien und Lateinamerika