Darf ein Reformator sagen, was er für richtig hält?

Die Reformation war auch ein Konflikt um die Veröffentlichungsfreiheit

27. Oktober 2006


„Ich kann nicht anders, hier stehe ich. Gott helfe mir. Amen.“ Mit diesem Wort soll der Reformator Martin Luthers seine Rede vor dem Reichstag in Worms beendet haben. Der Kaiser des Heiligen Römischen Reichs deutscher Nation hat den Theologieprofessor und Mönch aufgefordert, seinen Veröffentlichungen zu widersprechen und diese zurück zu ziehen. Doch Martin Luther erklärte den versammelten Fürsten aus allen deutschen Landen, er könne nicht gegen sein Gewissen und gegen die Offenbarung der Heiligen Schrift den von ihm veröffentlichten theologischen Erkenntnis widersprechen.

Vier Jahre zuvor – am 31. Oktober 1517 – hat Martin Luther zum ersten Mal von sich Reden gemacht und die theologisch-kirchliche Diskussion ausgelöst, die dann 1521 zu der Verhandlung vor dem Reichstag geführt haben. An die Tür der Schlosskirche in Wittenberg, dem damaligen schwarzen Brett der dortigen Universität hat er 95 Thesen angeschlagen, in denen er darstellt, dass nicht gute Werke und Ablass zu einem gnädigen Gott führen, sondern allein das versöhnende Handeln Gottes auf Golgatha. Daran erinnert der Reformationstag, den alle Evangelischen am Tag vor Allerheiligen begehen.

Mit dem Reichstag in Worms und der Verhandlung gegen Martin Luther stand damit wenige Jahre nach Erfindung der Buchdruckerkunst die Veröffentlichungsfreiheit zur Debatte. Darf ein Theologieprofessor seine Erkenntnisse veröffentlichen, auch wenn sie damals der gängigen Lehre der Kirche, also einer Religion, widersprach?

Wer genau hinschaut, erkennt: Ein aktuelles Thema – Karikaturenstreit, die Auseinandersetzung um die Rede des Papstes in Regensburg, die Absetzung einer Aufführung von Idomeneo an der Deutschen Oper in Berlin sind nur drei Ereignisse aus diesem Jahr, bei denen die Pressefreiheit, die Freiheit der Kunst, die Freiheit der Wissenschaften und der Meinungsäußerung mit der Religionsfreiheit scheinbar in Konflikt geraten sind. Dabei können die Freiheiten nicht gegeneinander abgegrenzt werden, als gäbe es verschiedene Freiheiten, denen mit unterschiedlichem Interesse Noten und Wertigkeiten verliehen werden könnten. Auf dem Spiel steht eben die eine Freiheit, die Grundlage der Demokratie ist, die eine Freiheit, die sich in aller Verschiedenheit entfaltet.

Die Kirche und die Gesellschaft, die Kultur und die Politik, die Wissenschaft und die Medien brauchen Plätze, Foren und Möglichkeiten miteinander über die eine Freiheit und ihre verschiedenen Formen und Ausprägungen zu diskutieren und zu streiten – ohne Gewalt anzudrohen oder gar zu praktizieren, ohne verletzend zu provozieren und ohne mit verzerrenden Vergleichen die Gesprächssituation eskalieren zu lassen. Davon können alle gewinnen – zumindest die Erkenntnis, die Luther im ersten brief an die Korinther so übersetzt hat: „Alles ist mir erlaubt, aber nicht alles dient zum Guten.“ (1. Kor 6,12)

Übrigens: Luther selbst und seine Schriften wurden mit „Acht und Bann“ belegt. Das ist jedenfalls keine Lösung: Mit staatlicher Gewalt gegen Gedanken vorgehen zu wollen.