Libanon – zwischen Neuanfang und Resignation

EKD-Delegation besuchte Beirut

16. Oktober 2006


Wenn es donnert in Beirut, werfen die Menschen mitunter einen erschrockenen Blick zum Fenster, um dann erleichtert festzustellen: Es ist nur ein Gewitter. Die Erinnerungen an die Tage im Sommer, als die südlichen Stadtteile Beiruts wie auch viele Dörfer im Süden des Landes unter Beschuss lagen, sind noch frisch. „Wir sind alle verwundet, auch wenn wir äußerlich gesund aussehen“, so formulierte die deutsche Pastorin Friederike Weltzien es im Gottesdienst, mit dem die Evangelische Gemeinde in Beirut am 15. Oktober ihr 150jähriges Bestehen feierte.

Die Wunden der Stadt dagegen kann man besichtigen. Noch immer liegt der Staub des Krieges im Süden der Stadt in der Luft. Es ist erschütternd, das Ausmaß der Zerstörung, das man bislang nur aus den Fernsehbildern kennt, mit eigenen Augen zu betrachten. Wenn man sieht, wie ganze Hochhäuser dem Erdboden gleich gemacht wurden, ohne dass die Nachbarhäuser größeren Schaden davon getragen haben, erkennt man die furchtbare Verbindung von Präzision und Zerstörungskraft, die hier am Werk gewesen sein muss. Überall sind Menschen damit beschäftigt, in den Ruinen aufzuräumen und den Schutt abzufahren. Sie tragen Tücher als Schutz gegen den Staub vor dem Mund. Ein Bewohner des Stadtteils berichtet uns, dass die Hisbollah unmittelbar nach dem Krieg mit Lastwagen voller Geld in die zerbombten Viertel gekommen sei. Rund 12.000 Dollar hätte jede Familie bekommen, deren Wohnung zerstört worden war. Davon sollen die obdachlos Gewordenen für das erste Jahr Wohnungen mieten und Möbel kaufen. Inzwischen hat die Regierung jeder Familie 50.000 Dollar für den Wiederaufbau versprochen.

Mehr als 1.000 Libanesen sind im Krieg dieses Sommers ums Leben gekommen, 100 000 haben ihre Wohnung verloren. Die Hisbollah feiert sich selbst als Sieger. Riesige Plakate am Straßenrand verkünden den „divine victory“, den „göttlichen Sieg“ – ein Wortspiel mit dem Namen ihres Anführers, Hassan Nasrallah. Aber selbst bei einem kurzen Besuch in Beirut wird klar, dass dieser Krieg eine dauerhafte Friedenslösung in weite Ferne gerückt hat. Nach diesem Sommer wird es noch schwerer werden, wechselseitiges Vertrauen zwischen den Menschen aufzubauen. Doch dieses Vertrauen ist die Grundvoraussetzung für den Frieden.

Die Evangelische Gemeinde in Beirut mit dem Pfarrerehepaar Weltzien und den engagierten Ehrenamtlichen setzt sich unermüdlich für den Aufbau dieses Vertrauens ein. Durch ihre Hilfe für Flüchtlinge und Notleidende während der Kriegswochen hat sie gezeigt, wie sich der Glaube in der praktischen Tat bewähren kann. Mitglieder der Gemeinde haben ausgeharrt, haben ohne Ansehen der Person Beistand geleistet, getröstet, Kranke versorgt, Kinder aufgenommen, Ausreisen organisiert. Wir können dankbar sein und stolz auf diese Gemeinde. Noch vor vier Wochen war unsicher, ob das 150jährige Bestehen der Gemeinde in Beirut tatsächlich gefeiert würde. Der überfüllte Gottesdienst und der fröhliche Empfang im Garten der Gemeinde haben bewiesen, dass die Entscheidung zu feiern richtig war. Und auch das Wetter hatte ein Einsehen – das Gewitter war weiter gezogen.

EKD-Pressemitteilung „Frei von allem Ansehen der Person“

Predigt im Festgottesdienst zum einhundertundfünfzigjährigen Jubiläum der Deutschen Evangelischen Gemeinde in Beirut