Mäntyluoto - Ein Zuhause an der Ostsee

Junge Helfer in den Seemannsmissionen

15. September 2006


„Vor einem Jahr noch ging es mir wie den meisten anderen Menschen in Deutschland: Wenn ich eine Banane gegessen habe, hatte ich keine Ahnung, was dahinter steckt.“ Heute aber weiß Martina Schindler, wie das Leben an Bord der Schiffe aussieht, die Waren von West nach Ost und von Süd nach Nord bringen. Sie weiß um die Sorgen, Nöte und Freuden der Seeleute und sie kennt beispielhaft das Leben und Treiben im finnischen Hafen Mäntyluoto einschließlich seiner wärmsten Seite, der Seemannsmission. Mäntyluoto ist der größte Schnittholzhafen Skandinaviens und Teil des Hafens Pori, zu dem noch Tahkoluoto, der einzige Tiefwasserhafen am bottnischen Meerbusen gehört.

Ein Jahr lang hat die 22jährige Martina Schindler aus Fellbach in der Deutschen Seemannsmission Mäntyluoto als Praktikantin gearbeitet. „Nach dem Abitur wollte ich zunächst einfach nur ein Jahr lang ein wenig von der Welt kennen lernen. Über den europäischen Freiwilligendienst bot sich dann die Möglichkeit, in der Deutschen Seemannsmission in Mäntyluoto zu arbeiten. Es war ein wunderbares Jahr, in dem ich viel über und von Menschen gelernt und über sie Einblick in das Leben auf den Seeschiffen und in anderen Ländern erhalten habe.“

Ähnlich empfindet Jonas Leimcke, der als Zivildienstleistender ein Jahr in der Deutschen Seemannsmission Mäntyluoto mitgearbeitet hat. Der 20jährige aus Chemnitz wusste wie Martina Schindler zunächst nicht viel von der Arbeit der Seemannsmissionen. „Eigentlich habe ich mich vor allem dazu entschlossen, weil mich die nordischen Länder interessieren und die Arbeit abwechslungsreich klang.“ Und abwechslungsreich war das Jahr tatsächlich. „Bei unseren Bordbesuchen, den Gesprächen mit Seeleuten im Club und gemeinsamen Unternehmungen habe ich so viele verschiedene Menschen aus so unterschiedlichen Kulturen kennen gelernt, dass ich das wirklich als Bereicherung empfinde“. Allein im Jahr 2005 kamen insgesamt 2.456 Seeleute aus 34 Ländern in den Seemannsclub Mäntyluoto. Die Mitarbeiter der Seemannsmission – allen voran Diakon Martin Struwe - besuchten im gleichen Zeitraum noch einmal 2.664 Seeleute auf 716 Schiffen.

Ziel der Deutschen Seemannsmission ist es, den Seeleuten unterwegs ein Zuhause zu geben, sie Menschlichkeit spüren zu lassen, ihnen in ihren Sorgen und Nöten beizustehen – und ihnen auch schlicht zu ermöglichen, einmal jemand anderes zu sehen und zu sprechen als die Menschen an Bord ihres Schiffes. Als selbständige diakonisch-missionarischen Einrichtung finanziert sie ihre Arbeit im Wesentlichen durch die Evangelische Kirche Deutschlands und ihre Gliedkirchen sowie Kollekten und Spenden. Zur Zeit betreibt sie 16 eigenständige Stationen in Deutschland sowie weltweit 17 Auslands-Stationen.

Eine Station ist der Seemannsclub Mäntyluoto, in dem wie in allen Stationen Gespräche das A und O der Begegnung sind. Manche bewegende Lebensgeschichte haben Martina Schindler und Jonas Leimcke so gehört: Von dem Indonesier, der seine Familie beim Tsunami verlor, während er selbst mit dem Schiff auf großer Fahrt war. Oder von dem Seemann, dessen Frau an Krebs gestorben ist und der seine Kinder trotzdem monatelang allein lassen muss. „Einige Seeleute“, erzählt Jonas Leimcke, „kommen regelmäßig nach Mäntyluoto und so erfährt man im Laufe der Zeit immer mehr von ihnen und ihrem Leben.“ Freundschaften haben sich so zwischen den Seemännern und den jungen Leuten entwickelt, aber sie haben auch intensive Gespräche mit Menschen geführt, „die wir im Leben nie wiedersehen werden“. Martina Schindler berichtet, dass ihr erst in Mäntyluoto die harten Lebensbedingungen der Seeleute klar geworden sind. „Plötzlich erkennt man, wie diesen Menschen die sozialen Kontakte wegbrechen, wenn sie monatelang auf See sind. In ihrer Heimat organisiert derweil die Ehefrau das alltägliche Leben und wenn der Seemann dann für ein paar Tage nach Hause kommt, fühlt er sich in dem Leben dort vollkommen überflüssig und verloren.“

Auch über die unterschiedlichen Kulturen dieser Welt und das Leben in anderen Ländern haben die jungen Menschen in ihrer Zeit in Mäntyluoto viel erfahren, mehr wahrscheinlich, als sie auf touristisch organisierten Reisen jemals werden nachspüren können. „So hat mich anfangs sehr irritiert, dass die philippinischen Seeleute sich ihren Offizieren und auch uns gegenüber extrem respektvoll, fast demütig, verhalten. Und es war immer wieder ein besonderes Erlebnis, wenn diese Distanz zu uns schließlich aufbrach und wir partnerschaftlich respektvoll miteinander umgehen konnten“, erzählt Martina Schindler.  Leicht war der Weg dorthin für die jungen Leute anfangs nicht. „Natürlich mussten wir erst lernen, was wir von uns selbst dafür hergeben dürfen oder müssen“, erzählt Martina Schindler weiter. Für sie war das als Frau mal leichter noch, mal schwieriger. „Natürlich gibt es auch bei den Seeleuten Menschen, die Nähe gleich auf Heiratsgedanken bringt. Andererseits freuen sich viele Seeleute ganz unverfänglich darüber, mal wieder mit einer Frau sprechen zu können, und öffnen sich dadurch auch leichter.“ Einige Seeleute können Frauen auch leichter menschliche Wärme zurückspiegeln als Männern – so wie der Seemann, der Martina Schindler alle sechs Wochen als kleines Geschenk ein Stück Seife mitbrachte.

Solch nette Geschenke hat Jonas Leimcke natürlich nicht erhalten, aber auch so hat ihn das Leben in der Seemannsmission Mäntyluoto fasziniert. Er radelt nun von Mäntyluoto in seine Heimatstadt Chemnitz zurück und möchte noch weitere praktische Lebens- und Arbeitserfahrungen in verschiedenen Firmen sammeln, bevor er nächstes Jahr sein Studium zum Bauingenieur aufnimmt.

Martina Schindler studiert demnächst Soziologie in Bamberg. Den Weg nach Hause legt sie zum Teil mit dem Schiff zurück – mit einem der Schiffe, die wöchentlich in Mäntyluoto anlegen. Sie freut sich auf diese hautnahe Abschlussfahrt, „denn die Seeleute haben eine ganz eigene Art und Weise, mit sich und der Welt zurecht zu kommen!“

Deutsche Seemannsmission