„Time to make friends“

Die Begeisterung über das Finale hinaus erhalten

29. Juni 2006


Begeisterte feiern Menschen vor riesengroßen Leinwänden und in den Innenstädten Deutschlands. Mancher, der vor dem 9. Juni noch nicht verstanden hat, warum so viele die Fußballweltmeisterschaft herbei sehnten, hat sich von der Fröhlichkeit in der Zwischenzeit anstecken lassen. Mancher, der sich für das Spiel der 22 auf dem grünen Rasen nicht interessiert, geht zu den Plätzen, wo die Fans miteinander feiern, weil es mindestens so viel Spaß macht, der Nationalmannschaft beim Gewinnen zuzuschauen wie den Fans beim Feiern. Auch wenn 24 der 32 Mannschaften schon ausgeschieden sind und ihre Anhänger mit zurück in die Heimat genommen haben, die Stimmung ist geblieben. Keine der Mannschaften wurde mit Häme oder Spott verabschiedet, sondern nach gemeinsamem Spiel gab es eben einen Gewinner, der bleiben durfte, und einen Verlierer, der im Bewusststein, bei diesem Fest dabei gewesen zu sein, nach Hause fuhr.

Bei keiner Sportveranstaltung wurden so viele Spiele von so vielen Menschen so intensiv gemeinsam angeschaut: in ausverkauften Stadien, in zusätzlich aufgebauten Arenen, auf den Fanmeilen – und eben auch in über 2.600 evangelischen Kirchengemeinden. Die englische Wortkombination „Public viewing“, die vor einem Jahr nur wenige Eingeweihte und Medienfachleute verstanden haben, ist in den letzten drei Wochen zur stehenden Redensart geworden. So begrüßt der Nachbar, der gerade in seine Garage gefahren ist, die Nachbarin im Garten: „Wir kommen gerade vom Public Viewing.“ Und dann wird nicht von dem Spiel berichtet, das dort zu sehen war – das Ergebnis wissen eh schon alle. Der eben Heimgekehrte erzählt selbst begeistert von der Begeisterung der Fans vor der großen Leinwand, den vielen Farben in der Menschenmenge und wie die Fans der einen und die Fans der anderen Mannschaft sich nach dem Spiel in den Armen gelegen haben, obwohl für die einen das Turnier nun zu Ende ist.

In einer kleinen Kirchengemeinde im Norden Deutschlands kommen zu jedem Spiel mehr als doppelt so viel Menschen wie die Kirchengemeinde Mitglieder hat, um etwas gemeinsam zu erleben, was zu Hause allein vor dem Fernseher viel langweiliger ist. Und in Addis Abeba sitzen Lehrer und Mitarbeiter einer Schule fast jeden Tag vor der Großleinwand in der Aula der „German Church School“ und fiebern mit den WM-Teams mit. Von dort kam die Nachricht: „Alle halten hier zu Deutschland und drücken uns die Daumen, manche sagen sogar: we pray for you! Beim Spiel gegen Brasilien haben wir hier alle mit Ghana, dem letzten Vertreter Afrikas, gebangt. Trotz der 0:3 Niederlage war das ein Spiel für Afrika.“

Die letzte Woche der Weltmeisterschaft bricht an. Nun geht es schnell: Viertelfinale – Halbfinale – und dann wissen alle, ob die Finalpaarung, auf die sie gesetzt haben, wirklich zu Stande kommt. Noch spannender ist jedoch, ob all die, die es jetzt gemeinsam gefeiert haben, es auch schaffen, ein bisschen der Begeisterung über den 9. Juli hinaus bewahren können: Wir brauchen keine No-Go-Areas, sondern im dem Land, in dem die Welt zu Gast bei Freunden war, bleiben wir auch ohne Weltmeisterschaft Freunde. Wir alle können uns auch die Monate danach freundlich ins Gesicht lachen und lächeln. Da spielt es keine Rolle, wessen Familie über Generationen aus Deutschland stammt oder – aus welchen Gründen auch immer – mit anderen Traditionen, anderen kulturellen Gewohnheiten und einer Leibspeisen in Deutschland eingewandert ist. „Time to make friends“ ist auch nach dem Ende der Weltmeisterschaft, egal wer am Ende den Pokal in den Händen hält.

"Die Welt zu Gast bei Freunden - Ein evangelischer Blick auf das Motto der Fußball-Weltmeisterschaft" - Rede des EKD-Ratsvorsitzenden zum Johannisempfang in Berlin

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