Gemeinsam gegen Antisemitismus

Der 93-jährige Rabbiner Leo Trepp unterrichtet evangelische Theologiestudenten

21. Juni 2006


Es geschah beim Appell um vier Uhr morgens. Die Gefangenen des KZ Sachsenhausen harrten frierend im Regen. "Ihr seid der Abschaum der Menschheit! Was euch von meinen Männern getan wird, ist gerecht!", brüllte der Lagerkommandant. Der Oldenburger Landesrabbiner Leo Trepp erwartete den Todesschuss. "In dieser Stunde überkam mich ein unglaubliches Gefühl der Gegenwart Gottes", schildert der Überlebende die Szene Ende 1938. "Gott war da im Konzentrationslager. Ein tiefer Friede kam über mich."

Seit der Emigration in die USA teilt der inzwischen 93-jährige jüdische Theologe seinen Glauben und sein Wissen mit, mehr als drei Jahrzehnte lang als Professor am Napa-College bei San Francisco, seit der Emeritierung im Jahr 1983 regelmäßig im Sommersemester an der Universität seiner Geburtsstadt Mainz. Trepp ist der einzige Rabbiner, der auf eine derart lange Lehrzeit an einer evangelisch-theologischen Fakultät in Deutschland zurückblicken kann.

"Ich will Menschen helfen, dass sie in ihrer religiösen Tradition eine Kraftquelle finden", formuliert Trepp sein Anliegen. Judentum und Christentum teilten die gleichen Grundlagen Gott, Offenbarung und Erlösung. Die Aufgabe des Judentums bestehe nach dem Religionsphilosophen Franz Rosenzweig darin, das Ziel der Erlösung in der liturgischen Feier des Jahres vorwegzunehmen. Die Christen könnten sich dadurch anspornen lassen, auf das Ziel hinzuarbeiten. "Die christliche und die jüdische Theologie müssen zusammengehen", fordert der Professor.

Auch deshalb, um gemeinsam gegen den Judenhass vorzugehen. "Es gibt keine besseren Kämpfer gegen den Antisemitismus als Pfarrer und Religionslehrer", urteilt der Rabbiner. Das war früher anders. Dem Rassenwahn der vergangenen zwei Jahrhunderte ging eine von Theologen lang gepflegte Judenfeindschaft voraus. "Eines der Wunder des 20. Jahrhunderts ist der Wandel der christlichen Theologie nach Auschwitz", erkennt Trepp an. Die Kirchen lehrten nicht mehr, dass die Juden am Tod Jesu schuld seien oder dass der Gott der Juden ein Rachegott sei.

Trepp freut sich auf den jährlichen Aufenthalt in Mainz auch wegen des Sinneswandels der Öffentlichkeit: "Immer mehr Deutsche teilen die Ansicht, dass die Nachgeborenen keine Schuld an den Verbrechen der Vorfahren haben, aber dass jeder Deutsche für den Kampf gegen den Antisemitismus verantwortlich ist." Der Antisemitismus ist nach den Worten von Trepp das Barometer, wenn eine Gesellschaft ihre moralische Verpflichtung verliert. "Die Deutschen sind gerufen, Vorbild in der Welt beim Kampf gegen den Antisemitismus und Menschenhass zu sein."

Die Auswirkungen des Antisemitismus hat der Sohn eines jüdischen Kaufmanns am eigenen Leib erlebt. Als die NSDAP nach den Wahlen 1931 zu einer großen Fraktion im Reichstag aufsteigt, jubeln die Mitschüler. Von einem Klassenkameraden, dem Trepp ein Buch geliehen hat, erhält er die Antwort: "Einem Jud gibt man nichts zurück." Als Oldenburger Landesrabbiner kann Trepp in der Hauptsynagoge von Jever keinen Gottesdienst feiern. Täglich fliegen Steine in die Fenster.

In der Reichspogromnacht am 9. November 1938 wird Trepp verhaftet und in das Konzentrationslager geschafft. Ein Telegramm der Ehefrau an den englischen Oberrabbiner mit den Worten "Das Schiff ist untergegangen, retten Sie den Kapitän" erwirkt das Visum. Trepps Eltern erhalten keine Einreisegenehmigung in die USA. Der Vater stirbt noch in Mainz, die Mutter wird deportiert und ermordet.

Trepp steht der Sinn nicht nach Vergeltung. Er übermittelt als Botschaft der NS-Opfer: "Der Maßstab einer Gesellschaft liegt in der Behandlung der Minderheiten." Der Rabbiner hat sich zeitlebens für die Verständigung zwischen Juden und Christen eingesetzt. Als er 1954 in das Land seiner Geburt zurückkehrt, erkennt er Mainz nicht wieder. Die Stadt ist ein Trümmerfeld. Seit diesem Jahr hat der Hochschullehrer Besuche von Studierenden aus den USA nach Deutschland organisiert, um Verständigung über Grenzen hinweg zu schaffen.

Mittlerweile wurde Trepp von der Stadt Oldenburg zum Ehrenbürger und von der Universität Mainz zum Ehrensenator ernannt, die Stadt Mainz zeichnete ihn mit dem Ehrenring aus. Der 93-Jährige hofft darauf, dass die Menschheit im Glauben an Gott mitmenschlich wird. Trepp will daran mitwirken, solange der Kopf klar bleibt. Der Rabbiner begründet seine Hoffnung mit den Worten Martin Bubers: "Die Welt ist weder erlöst noch unerlöst, aber erlösbar."

Weitere Informationen zu Leo Trepp im Internetangebot der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz