"Republik Gottes zu Herrnhut"

Erdmuthe Dorothea Gräfin von Zinzendorf starb vor 250 Jahren

14. Juni 2006


Erdmuthe Dorothea von Zinzendorf hatte vielfältige Talente: Die am 7. November 1700 geborene Adelige war brave Tochter, geduldige Gattin und nicht zuletzt eine glaubensstarke Dichterin. Zeitweise wirkte sie auch als allein erziehende kinderreiche Mutter, Finanzverwalterin, Missionsreisende und Seelsorgerin. Außerdem war sie Gutsverwalterin und Hausmutter in Herrnhut bei Dresden. Ohne sie ist das Werk ihres berühmten Ehemannes, des ökumenisch gesonnenen Erfinders der heute weltweit verbreiteten "Herrnhuter Losungen", undenkbar. Sie starb vor 250 Jahren, am 19. Juni 1756.

Nach anfangs kühler Zurückhaltung gibt Komtess Erdmuthe von Reuß am 7. September 1722 dem Reichsgrafen Nikolaus Ludwig von Zinzendorf in der elterlichen Schlosskapelle von Ebersdorf ihr Ja-Wort. Sie ahnt nicht, auf welches Abenteuer sie sich in der Ehe mit dem unbequemen, genialen und manchmal bizarren Nikolaus einlässt. Mit Erdmuthe will der zutiefst gläubige junge Mann eine "Streiter-Ehe" führen, in der es nicht um das persönliche Glück, sondern um die gemeinsame Arbeit für die Sache Gottes gehen soll.

Drei Monate nach der Hochzeit hat das Paar auf der Fahrt zum soeben erworbenem Gut Berthelsdorf eine schicksalhafte Begegnung: Dort haben sich mährische Exilanten niedergelassen. Die Asylanten gehören zur Brüderkirche in der Tradition von Jan Hus.

Das Paar erlaubt den protestantischen Glaubensflüchtlingen zu bleiben. "Herrnhut" nennen sie ihre Siedlung. Unter Überwindung aller Standes- und Konfessionsgrenzen gründet Nikolaus von Zinzendorf die "Brüdergemeine", eine "Republik Gottes zu Herrnhut". Das bedeutet für ihn, Bruder unter Brüdern zu werden - eine Vorstellung, für die ihn seine Standesgenossen für verrückt erklären, und mit der Erdmuthe sich anfangs deutlich schwerer tut als er.

Nach dem Vorbild christlicher Urgemeinden lebt man in Herrnhut zusammen. Es gibt Häuser für Familien und Wohngemeinschaften jeweils für unverheiratete Männer und Frauen. Erdmuthe ist Vorsteherin im Haus der Frauen. Mit dieser Leitungsaufgabe bewegt sie sich in Richtung Gleichstellung der Frauen. Ein Anstoß, der in dieser Zeit revolutionär wirkt.

Aus den spärlichen Einnahmen von Gut Berthelsdorf muss die junge Frau bald ein Waisenhaus nebst immer neuen Gästen und Hausgenossen unterhalten. Denn der Graf hat keinerlei Verhältnis zum Geld und überlässt die Finanzverwaltung komplett ihr. Trotz ihrer Finanzierungskünste geht es im Hause Zinzendorf oft so bescheiden zu, dass der Graf und die Seinen gewendete Kleidungsstücke tragen. Es reicht oft kaum für das Reisegeld. Denn Zinzendorf ist unermüdlich unterwegs, um Separatisten und Sektierer zum Bleiben in der Kirche zu bewegen.

Bald gibt es auch politische Probleme: Weil die habsburgische Regierung bei Kurfürst August dem Starken gegen die Aufnahme der Glaubensflüchtlinge Klage einlegt, verweist der den Grafen 1732 des Landes und befiehlt ihm, seine Güter zu verkaufen. Zinzendorf verkauft an Erdmuthe, darf aber Ende 1733 zurückkehren. Drei Jahre später wird er erneut verbannt. Er reist als Prediger durch Europa und im Zuge der von ihm begonnenen Missionsbewegung nach Amerika.

Viele neue Stützpunkte der Brüdergemeine entstehen während seiner elfjährigen Verbannung, auch in England, wo er fast fünf Jahre verbringt. Erdmuthe pendelt zwischen Herrnhut und wechselnden Wohnsitzen außerhalb der Landesgrenze. Aus Herrnhut macht sie eine blühende Handwerkersiedlung, als Seelsorgerin ist sie eine gefragte Zuhörerin.

Zwölf Kinder bringt sie zur Welt, von denen acht das Kleinkindalter nicht überleben. Ihr Leid und ihr dennoch unerschütterliches Vertrauen in Gott spiegelt sich in den Texten ihrer zahlreichen Lieder. Auch die lange Trennung der Eheleute hinterlässt Spuren: Als der Graf 1755 aus London zurückkehrt, sind ihre Lebensgewohnheiten so verschieden geworden, dass Zinzendorf ins Schloss nach Berthelsdorf zieht. Erdmuthe bleibt in Herrnhut.

Nach dem Tod ihres einzigen überlebenden Sohnes Renatus 1752 erkrankt Erdmuthe von Zinzendorf und wird zusehends schwächer. Sie stirbt am 19. Juni 1756. Für ihren Grabstein entwirft ihr Mann später die Inschrift: " ...eine Fürstin Gottes unter uns und Säug-Amme der Brüder-Kirche".