Bericht aus Dahab

Die Tage nach dem Terror – Pastorin Tina Huelsebus berichtet

28. April 2006


Montag, 24. April:

Ich stehe in der Küche beim Abwasch. Die Fenster sind auf. Gerade sind wir von einem Ausflug mit den Kindern zurück. Es ist kurz nach 7 Uhr abends. Ein Knall. Dann noch einer und noch einer. Sofort rotiert es in meinem Kopf. Nein, bitte keine Bombenexplosion. Keine Anschläge. Und von wo kam das? Nach draußen, knapp 200 m von der Hotellagune entfernt. Nichts zu sehen, kein Rauch, kein Feuer. Dennoch bin ich mir sicher, das waren Bomben. Nachbarn eilen in den Garten. Wißt Ihr was?

Warten. Und gleichzeitig überlege ich, was tun? Schnell kommen die ersten Rückmeldung per Handy. Bombenanschläge im anderen Teil Dahabs, im alten Basar und Coffeeshop-Viertel. Wo genau, ist weiterhin unklar. Ich versuche, Freunde, die in diesem Teil Dahabs arbeiten, anzurufen. Aber schon geht nichts mehr per Handy. Das Netz ist dicht. Die medizinische Versorgung ist mir sofort präsent. Es gibt nämlich keine hier. Und das Mobilnetz funktioniert nicht mehr. Vielleicht aber außerhalb Dahabs. Krankenwagen müssen her und Ärzte. Ich rufe einen Arzt in Sharm el Sheikh an. Gott sei Dank, ich erreiche ihn. Er schickt sofort Krankenwagen und Ärzte. Was noch tun? Die Deutsche Botschaft anrufen, vielleicht können die Druck machen, dass mehr Notfallversorgung kommt.

Ahmed kommt angerannt, ein Freund kam mit dem Motorrad, seine Schwester ist verletzt. Sie brauchen das Auto, um sie 80 km nach Sharm ins nächste Krankenhaus zu fahren. Und weitere Infos, alle Bomben dicht beieinander. Viele Verletzte und auch Tote. Ununterbrochen versuche ich Freunde, Bekannte per Handy zu erreichen. Sind sie verletzt, tot? Aber keine Chance. Network busy. Gegen 20.15 die erste breaking news auf CNN. Dann auf immer mehr Sendern. Gegen 22 Uhr die ersten Bilder. Blut, Tote, 2 Kinderbuggys mit Glassplittern und Blut. Mir rinnen die Tränen übers Gesicht. Was für Unmenschen waren das?

Bislang hatten wir uns hier- trotz der Anschläge in Taba und Sharm el Sheikh - sicher gefühlt. Das unbedeutende Dahab, eher noch ein Dorf. Völlig uninteressant für Attentäter. Ein Freund kommt vorbei, er war vor Ort, wollte im sogenannten Krankenhaus hier Blut spenden. Sie haben ihn zurückgeschickt. Er solle nach Sharm fahren, weil es hier einfach keine Nadeln, kein Equipment und so weiter gibt. Erzählt von den Toten, die kaum 2 Minuten Wegstrecke von hier entfernt auf der Straße liegen. Und wie vor Ort die Verletzten in Teppiche eingewickelt wurden, um dann mit Jeep oder Pickup nach Sharm el Sheikh gebracht zu werden.

Irgendwann nach etlicher Zeit überhaupt hört man mehr Sirenen. Vermutlich die ersten Krankenwagen. Aber kein Hubschauber. Wieso nicht. Sonst fliegt der doch auch ständig. Irgendwann schlafe ich total übermüdet ein.

Dienstag, 25. April:

Der Fernseher läuft ununterbrochen. Wer steckt dahinter, was war los, wie viele Verletzte, Tote? Überall unterschiedliche Zahlen und Infos. Von Euronews über BBC, CNN und Ägyptischem Fernsehen. Und außerdem bin ich mir sicher, dass wir hier nie etwas Genaueres über die Hintergründe erfahren werden. Nach Sharm el Sheikh hat man auch nie wieder etwas über die Täter gehört.

Um 8 Uhr gehe ich die Namen auf meinem Handy durch und schicke an alle eine SMS: Seid Ihr okay? Gott sei Dank sind unter ihnen keine Verletzten oder Tote. Aber einige waren direkt im Geschehen, einige Mütter mit ihren kleinen Kindern – sie müssen gute Schutzengel gehabt haben. Eine dieser Mütter fragt, ob ich sie besuchen kann, sie möchte nicht allein zu Hause sein. Sie war direkt im nächsten Restaurant, neben dem „Al Capone“, wo 6 Angestellte starben. Sah die Feuerwand auf sich zu rollen und rechnete nicht damit, verschont zu bleiben. Sie hockten unter einem Tisch. Wie durch ein Wunder stoppt die Wand direkt vor ihnen. Noch einige Zeit abwarten, kommt noch etwas?, dann nur noch der Wunsch, nach Hause zu gehen –mit den Kindern. Vorbei an den Toten und Verletzten.

Am Dienstag Nachmittag findet ein Schweigemarsch statt. Für alle. Einheimische, Touristen, Beduinen – für die Toten und Verletzten. Allerdings verläuft der Marsch nicht gerade schweigend. Ein Ägypter spricht die Parole vorweg, der Rest antwortet im Chor. We love tourists, we love peace. Dann sprechen alle gemeinsam Koranverse. Ich sehe sogar Beduinenfrauen, die sonst nie ihre Häuser verlassen. Und viele Kinder. Ich verstehe die Muslime hier, die sich abgrenzen wollen, von den vermutlichen ebenfalls muslimischen Attentätern. Auf einem Transparent steht Shalom in hebräischen Lettern.

Ahmed fährt wieder abends mit dem Freund und seiner Frau zur verletzten Schwägerin. Irgendwie ist immer noch nicht ganz klar, was wirklich mit ihr los ist. Sicher nur, dass die Scherben der Glasscheiben durch die Wucht der Explosion wie Geschosse gewirkt haben. Ihr Bauch wurde quasi durchschossen. Die Situation ist nach wie vor ernst. Im Fernsehen ist zu sehen, wie Präsident Mubarak Verletzte besucht. Es wird erklärt, dieser Besuch habe im Krankenhaus von Dahab stattgefunden --- dabei haben wir überhaupt keines. Vielleicht ist es ein Gebäude, das so einen Namen trägt, mehr nicht.

Immer mehr Freunde aus Deutschland wollen wissen wie es uns geht, emails treffen ein. Ja, wir hatten wirklich Glück, es hätte uns genauso treffen können, mindestens einmal pro Tag ist einer von uns in dem betroffenen Supermarkt.

Mittwoch, 26. April:

Ahmed erzählt von einer 17jährigen, die verletzt im Krankenhaus in Sharm el Sheikh liegt, Schnittverletzungen durch Scherben und die hinterhältigen Nägel aus den Geschossen. Sie liegt dort mit ihrem 7monatigen Baby. Allein. Die Familie kann nicht kommen. Der Kleine liegt nackt, hat nichts anzuziehen, nicht einmal Windeln. Mit Zeitungspapier haben sie ihn notdürftig sauber gemacht. Er hat ebenfalls Schnittverletzungen an Kopf und Bauch. Die Wunde am Kopf ist genäht, aber nicht abgedeckt. Dies ist die Realität in Regierungskrankenhäusern in Ägypten. Ich suche sofort Sachen zusammen, etwas zum Anziehen für den Kleinen von unserem 9monatigen Sohn, ein Nachthemd für die Mutter. Ahmed hatte abends bereits eine Milchflasche gekauft und Milchpulver, weil der jungen Mutter die Milch ausblieb und ihr Sohn so nichts zu essen bekam.

Im Ort selbst ist es ruhig, ungewöhnlich ruhig. Touristen surfen, tauchen, buchen Safaris. Wie gehabt. Nur wenige sind abgereist. Selbst der Supermarkt hat schon wieder auf. An der beschädigten Holzbrücke wird eifrig gezimmert. Kaum noch Blutflecken sind zu sehen. Fast wie vorher. Nur ein paar Kerzen und Blumen an den Anschlagsorten erinnern an das, was hier passierte.

Ich treffe mich mit Freundinnen. Klar machen wir weiter, lautet die überwiegende Devise. Wo sollten wir denn auch hin? Die meisten leben seit Jahren hier, haben ihr Einkommen hier. Man will den Attentätern nicht den Erfolg ihrer Mission überlassen. Wer auch immer sie waren. In mir gibt es jedoch auch Zweifel. 3 Anschläge in 2 Jahren... es reicht langsam. Wie soll es hier je eine Zukunft geben?

Abends erreiche ich endlich meine Freundin Iris. Sie pendelt zwischen dem Krankenhaus in Sharm el Sheikh und Dahab. Hatte kaum Zeit für sich bislang. Ist erschöpft, fertig. Sie war vielleicht 20 Meter von den Explosionen entfernt. War hier im sogenannten Krankenhaus. Ist durch Blut gewatet, hat Kinder sterben sehen, Amputationen und die völlige Überforderung und Hilflosigkeit des medizinischen Personals vor Ort. Verwundete mit Schnittverletzungen werden nach Sharm el Sheikh gefahren, während Schwerstverletzte liegenbleiben. Hier auch trifft sie auf den deutschen Arzt, der helfen will aber nicht kann, weil es nichts gibt, womit man helfen kann. In seinen Armen stirbt der 10jährige deutsche Junge.

Inzwischen sind die ersten Satellitenschüsseln von den Nachrichtensendern weltweit und ihre Reporter verschwunden. Es gibt nichts Neues mehr zu berichten.  Dahab verschwindet wieder aus den Medien, ist nicht mehr aktuell. Aber die Leute leben weiter hier, die Verletzten sind nach wie vor im Krankenhaus und einige werden vielleicht noch sterben, weil in dem Chaos bei jedem einzelnen gar nicht alle Verletzungen diagnostiziert wurden. So wie viele vermutlich gestorben sind, weil sie den Transport über 8o km nicht überlebt haben. Die Zahlen schwanken immer noch, niemand weiß Genaues. Auf offizielle Seite will man es vielleicht auch gar nicht so genau wissen.

Der Ort ist jetzt wie immer nach solchen Anschlägen voll von Polizei, Kontrollen, die Autos müssen wieder außerhalb der Hotels und Einkaufsmöglichkeiten geparkt werden. Ich muss Brei für meinen Sohn aus der Apotheke holen und werde prompt angesprochen, das Auto wegzufahren, das wegen der Klimaanlage mit laufendem Motor davor steht. Ich kann mich nicht zurückhalten. Auf Arabisch sage ich zu dem Polizisten: Ihr hättet vorher was machen sollen und nicht hinterher.

Im Kopf geht es noch immer hin und her. Vor allem Wut macht sich breit. Wut auf die Attentäter, Wut auf die Regierungsstellen, auf das ganze Chaos. Wird sich je etwas ändern? Ich bin skeptisch. Ein Freund findet in den Bergen hinter einem großen Stein 3 Schlafmatten. Benutzt und zurückgelassen. Ja, wo suchen die denn, vielleicht im Hilton?

Abgesehen von Ahmeds nach wie vor täglichen Fahrten ins Krankenhaus von Sharm kommt der Alltag wieder. Aber mit einem bitteren Beigeschmack. Bis zum nächsten Mal? Oder doch ganz zurück gehen nach Deutschland? Oder woanders hin?

In 3 Wochen geht der Flug zurück nach Deutschland, wo ich wegen der Kinder die meiste Zeit bin. Sicher, auch in Europa, siehe London, gibt es Anschläge. Und nirgends kann man sich anscheinend mehr sicher fühlen. Aber es ist trotzdem beruhigender.