Schaut Ihr Ende an...

Menschen, die im 20. Jahrhundert um ihres Glaubens willen, gelitten haben

17. März 2006


Die Namen Dietrich Bonhoeffer, Sophie Scholl oder auch Oskar Brüsewitz sind für viele unvergesslich: Aber was ist mit den evangelischen Christen, die im Lauf des 20. Jahrhundert aus ihrem Glauben heraus in Staat und Gesellschaft widerstanden haben und deshalb leiden mussten. Das sind nicht nur diejenigen, die im Dritten Reich der nationalsozialistischen Schreckensherrschaft widersprochen haben, und die teilweise im Gedächtnis einzelner Kirchengemeinden und Christen geblieben sind: Georg Elser und der Kreis um Hans von Dohnani und Admiral Canaris, Jochen Klepper und Paul Schneider, um nur einige zu nennen. Es sind auch die evangelischen Christen in der damaligen Sowjetunion und im Baltikum, in der ehemaligen DDR und in Ost- und Südeuropa, die weil sie ihren Glauben nicht verleugnen konnten oder wollten, gelitten haben.

Was wird vom 20. Jahrhundert in Erinnerung bleiben, fragt der ehemalige Vorsitzende des Rates der EKD, Manfred Kock, anlässlich der Vorstellung eines Buches, in dem 499 Biographien von deutschsprachigen Märtyrern zusammen gestellt wurden. In diesem Buch seien es die Menschen, „die in KZs wie Buchenwald oder Treblinka oder im Lagersystem des „Archipel Gulag“ ihres Menschseins beraubt, schon ehe sie ins Feuer, ins Gas, ins Wasser oder in die Kälte gejagt wurden. Alles wurde ihnen weggenommen, der Name, die Würde, die Hoffnung. Die Hölle im 20. Jahrhundert ist ein gänzlich leerer Raum, so beschreibt der italienische Jude Primo Levi seine Grunderfahrung in Auschwitz. In den Lagern des Nationalsozialismus ebenso wie in denen des Stalinismus wurden Menschen ihrer Individualität und Personalität beraubt und zur bloßen Nummer gemacht. Schon mit dem Eintritt ins Lager sollte ihr Menschsein völlig ausgelöscht werden.

Das Buch mit seinen fast 800 Seiten leistet ein Doppeltes. Es erinnert an die „Wolke der Zeugen“ und es lädt ein selbst zu handeln – gerade, wenn dies heutzutage nicht mehr mit der Gefahr um Leib und Leben verbunden ist. Dazu noch einmal Manfred Kock: „Das vorgelegte Buch macht Mut zum Handeln aus Glauben und Lust zur Demokratie. Denn die liberale Demokratie ist ein System, in dem es sozusagen qua definitionem keine Märtyrer geben muss. Man kann nämlich in einem demokratischen Staat nicht nur anderer Meinung sein als die herrschenden Gruppen und Parteien, man kann und darf auch widersprechen und widerstehen, ohne dies mit dem eigenen Leben bezahlen zu müssen.“

In der Erinnerung an die „Wolke der Zeugen“ bleibt die Frage, was im protestantischen Bereich die Erinnerung an Heilige und Märtyrer bedeutet. „Vom heiligendendienst wird von den Unseren also gelehret, dass man der Heiligen gedenken soll, auf dass wir unseren Glauben stärken...“ heißt es in der Confessio Augustana. So trägt die Liste der Glaubenszeugen, wie der Vorsitzende des Rates der EKD, Bischof Wolfgang Huber, im Vorwort schreibt, „stellvertretenden Charakter“ und die EKD gedenkt damit aller „Christinnen und Christen, die während des 20. Jahrhunderts um ihres Glaubens willen inhaftiert, gequält und ermordet worden sind.“ Der weltweite Charakter wird auch deutlich, wenn am Ende des Buches zwei erwähnt werden, die in Lateinamerika um ihres Glaubens willen ums Leben gebracht worden sind: Elisabeth Käsemann und Marlene Katherine Kegler-Krug.

Den Anfang des Buches bilden allerdings mehrere lesenswerte Aufsätze, in denen der theologischen und gesellschaftlichen Frage, was eigentlich Märtyrer und Glaubenszeugen sind – ganz allgemein und in den besonderen Situationen des Dritten Reiches, im Baltikum und unter dem Druck des Sowjetregimes.

EKD-Pressemitteilung "Märtyrer des 20. Jahrhunderts"

Ansprache von Präses i.R. Manfred Kock zur Buchpräsentation in Leipzig

Evangelische Verlagsanstalt Leipzig