Gottesdienst statt Ganzkörpermassage

Perspektive einer Sportjournalistin

22. Februar 2006


Im großen Einkaufszentrum Lingotto in unmittelbarer Nähe zum Olympischen Dorf trifft Olympiapfarrer Thomas Weber die Journalistin Petra Mutzenhardt. Sie ist Sportredakteurin und arbeitet für eine süddeutsche Tageszeitung. Gemeinsam mit ihrem Kollegen berichtet sie jeden Tag über die Olympia-Ereignisse. Während der Kollege in Sestriere wohnt und die Wettbewerbe in den Bergen verfolgt, beobachtet Mutzenhardt das Geschehen in Turin.

Es ginge ihr nicht nur um die Wettkämpfe, sondern um Eindrücke am Rande von Olympia. Über die alte umgebaute Fiat-Fabrikhalle mit Teststrecke auf dem Dach, dem Ort, an dem die beiden gerade zum Interview beisammen sitzen, habe sie schon einen Artikel geschrieben, berichtet sie. Das 1915 erbaute riesige Fabrikgebäude Lingotto, das einst als architektonisches Meisterstück galt, dient heute als Erlebnis- und Einkaufszentrum. Auf dem Dach ist die Pinakothek untergebracht. Sie beherbergt die Kunstsammlung der Agnellis - mit Werken von Picasso, Matisse und Renoir. Während der Spiele befindet sich im Lingotto das Medienzentrum. Von dort oben können die Journalisten bei klarer Sicht bis in die Austragungsorte der alpinen Skiwettbewerbe in Sestriere blicken.

Auf der Suche nach neuen Geschichten sei die Journalistin auf ihn, den evangelischen Sportpfarrer der EKD, aufmerksam geworden. Weber erzählt ihr von seiner ersten Woche, von seinen Aufgaben, seinen Begegnungen und Impressionen. Mutzenhardt hört interessiert zu. Nach dem offiziellen Gesprächstermin kommen die beiden miteinander ins Gespräch. Die sympathische Journalistin erzählt von ihrer Arbeit. Sie sei zum zweiten mal bei den Olympischen Winterspielen dabei. Weber erfährt, dass sie vor vier Jahren einen Tag lang mit einem Mitglied des internationalen olympischen Komitees (IOC),Thomas Bach, verbrachte und ihn bei seiner Arbeit  begleitetet hätte. In Turin hoffe sie erneut auf so eine spannende Gelegenheit.

Dann wird das Gespräch privater: Schon seit dreizehn Jahren sei sie im journalistischen Metier tätig, erzählt sie. Sie habe eine fünfzehn jährige Tochter, die Leistungssport betreibe. Ihrer Tochter wurde  im vergangenen Jahr sogar Juniorenmeisterin im Rudern. Mutzenhardt kennt die verschiedenen Facetten des Sports – sowohl journalistisch als auch privat.

Ein kleiner Tisch, zwei Stühle, ein Laptop, das ist der bescheidene Arbeitsplatz, an dem sie im Medienzentrum in Lignotto arbeitet. Über dem Tisch stehen drei kleine Fernsehbildschirme, auf denen sie die Wettbewerbe live verfolgen kann. Bis zum frühen Abend müssen ihre Zeilen in Stuttgart sein, bevor die Zeitung gedruckt wird. "In Salt Lake City hatten wir Printjournalisten durch die Zeitverschiebung mehr Zeit zum Schreiben. "Diesmal muss alles unter Zeitdruck geschehen", erzählt Mutzenhardt. Sie war vor einigen Tagen in der Eisschnelllaufhalle live dabei, als die deutschen Damen in der Mannschaftsverfolgung Gold gewonnen haben. Aus der "Mixed Zone", wo sich die Journalisten aufhielten, konnte sie unmittelbar nach dem Wettkampf die ersten Interviews der glücklichen Siegerinnen erhaschen. "Bedauerlich", sagt sie, "dass sich meine Zunft vor allem auf die großen Namen stürzt, auf Anni Friesinger oder auf Claudia Pechstein. Von den anderen deutschen Mädels, die auch ihren Anteil an dem Sieg hatten, nimmt kaum jemand Notiz."

Glücklicherweise liegt die Eisschnelllaufbahn nur einen Katzensprung vom Pressezentrum entfernt. So eilt sie zwischen den Wettkämpfen und Pressekonferenzen zum Schreibtisch, verfasst Artikel und schickt sie sofort in ihre Redaktion nach Deutschland. So geht es vierzehn Tage lang ununterbrochen. Sie freue sich schon auf ihren Privaturlaub mit der Familie im Anschluss.

Interessiert hört sie zu, als ich ihr von der ökumenischen Andacht am Sonntag erzähle, die wir im religiösen Zentrum im Olympischen Dorf feiern wollen. "Leider können wir Journalisten nicht ins Dorf hinein, sonst würde ich sehr gerne daran teilnehmen. Immerhin sind wir zehntausend Medienvertreter. Leider gibt es für uns keinen ruhigen Ort, an den wir uns zurückziehen können. Es stehen nur vier Massagebänke zur Verfügung, auf denen wir fernöstliche Massagen erhalten können. Hoffnungsloser Fall, da mal dran zu kommen. Wir Journalisten sollten auch mal ein religiöses Zentrum anregen. Ruhe täte uns besonders gut!"

Zum Ende des Gesprächs schenkt ihr Weber die ökumenische Olympiabroschüre "Mittendrin" mit Gebeten, Texten zum Nachdenken, die eigentlich nur für die Sportlerinnen und Sportler gedacht ist. Er verabschiedet sich von Petra Mutzenhardt und wünscht ihr ein wenig Zeit, um hineinzuschauen. "Vielleicht klappt es ja, wenn doch einmal eine für sie frei wird," ruft er ihr lächelnd zu.

Weitere Berichte von der Winterolympiade in Turin