Medizinische Versorgung und Warnung vor Landminen

Unerträgliche Hitze und feiner rotbrauner Sand in Flüchtlingslager

24. November 2005


Feiner rotbrauner Sand vor dem Auto – aufgewirbelt vom vorausfahrenden Fahrzeug, feiner rotbrauner Sand hinter dem Auto – aufgewirbelt vom eigenen Fahrzeug. Doch wer aus den Seitenfenster schaut, erkennt einstöckige, meist fensterlose Hütten aus getrockneten Lehmziegeln, Zelthütten aus Pappkarton und Plastikbahnen, Sonnensegeln aus verdreckten Tüchern. Grüne Blätter, schattenspendende Palmen oder kleine Grashalme sind nicht zu entdecken. Die Frage, von was sich die Ziegen ernähren, die frei zwischen den Häusern vagabundieren, bleibt unbeantwortet. Die EKD-Ratsdelegation, die zur Zeit den Sudan bereist, besucht eines der Flüchtlingslager, die sich wie ein Gürtel um die sudanesische Hauptstadt Khartum ziehen. Nach den Schätzungen ihrer Begleiter wohnen 120.000 Menschen in diesem einen Flüchtlingscamp, das nur an Wüste erinnert. Zwischen den Hütten und den Zelten wächst nach menschlichem Ermessen nichts. Ab und zu ist auf der kilometerlangen Fahrt durch dieses Elendsviertel ein Marktplatz zu entdecken: Am Straßenrand verkaufen Frauen Tee und Wasser; von Eseln gezogene Karren bahnen sich den Weg durch die Staubwolken und unter den Teppichsegeln, die Schatten spenden, haben sich ein paar Jugendliche versammelt – sie bringen Wasser und verkaufen es an den Hütten. Dazwischen ist manchmal der Turm einer Moschee zu erkennen oder auch die durch Kreuze kenntlich gemachte Mauer einer Kirche.

In der Krankenstation die vom sudanesischen Kirchenrat (SCC) dort betrieben wird, wo die Hütten immer ärmlicher und zeltähnlicher werden, trifft die EKD-Delegation auf engagierte Mitarbeitende: Eine medizinische Assistentin, ein Frau, die Arzneimittel ausgibt, einige Hebammen und einen Arzt. Er berichtet, dass die Mitarbeiter der Krankenstation, als der SCC seine Mitarbeiter nicht mehr entlohnen konnte, nicht wie die anderen Mitarbeiter des SCC gestreikt haben. Ihre Kranken könnten nichts dafür, dass der SCC kein Geld mehr habe, haben die Mitarbeitenden damals gesagt.

83.000 Menschen zählen zum Einzugsgebiet dieser Krankenstation mitten im Flüchtlingslager. Im Eingangsbereich sitzen Mütter mit Kindern auf dem Schoß. Eine der Frauen hat sich auf der Bank gelegt und ist eingeschlafen. Dazwischen einzelne Männer. Der Schmerz ist ihnen ins Gesicht geschrieben. Die Medikamente, die in der kleinen Arzneimittelausgabe stehen, erinnern in nichts an deutsche Apotheken – die Hälfte des Einkaufpreises müssen die bezahlen, die bezahlen können. Die Patienten sollen begreifen, dass die Leistung, die sie in der Krankenstation bekommen, etwas wert ist. Bei vielen der Patienten aus dem Flüchtlingslager, die regelmäßig kommen, wurde Tuberkulose diagnostiziert. Der leitende Arzt weiß, dass sich dahinter oft die Immunschwäche HIV verbirgt, doch eine statistische Erfassung der HIV-Infizierten oder Erkrankten gibt es (noch) nicht. Prophylaktisch versuchen die Mitarbeitenden in der SCC-Krankenstation zu helfen, doch häufig reichen Kräfte und Medikamente nicht aus. Die fünf Hebammen besuchen, wenn Schwangere sich in der Krankenstation gemeldet haben, die Familien zu Hause. Mit Bildern erklären sie den Frauen, wie sie sich auf die Geburt vorbereiten können. In ihren weißen Kleidern fallen sie zwischen den anderen Frauen, die meist farbenprächtig gekleidet sind, auf. Auf Rückfrage berichtet der Arzt, dass die meisten Familien im Flüchtlingscamp fünf bis sechs Kinder haben, aber die Sterblichkeitsrate bei bis zu Dreijährigen sei immer noch hoch.

Im Innenhof der Krankenstation unter einem Sonnendach erläutern zwei Männer, wie zu reagieren ist, wenn jemand auf Landminen stößt. Praktische Lebenshilfe, die so wichtig ist, wie die medizinische Versorgung. Stammesälteste, erwachsene Männer und viele Kinder hören gespannt zu und schauen auf die Bilder, die ihnen gezeigt werden. Einer der Stammesälteste berichtet nachher, dass seine Gruppe am Überlegen sei, wieder zurück zu kehren. Sie würden zuerst einzelne Männer dorthin schicken, woher sie gekommen sind. Die müssten schauen, wie die Situation in der Heimat sei. Flüchtlinge aus verschiedenen afrikanischen Staaten aber auch aus dem Sudan seien in dem Lager, weiß der Arzt, der die EKD-Delegation führt. Für manche sei die Rückkehr so teuer, dass sie sich es nicht leisten könnten. Dabei fragen sich die EKD-Delegierten schon während des gesamten Besuchs in dem Camp, wie die Menschen an diesem unwirtlichen Ort, überhaupt zu ihrem Lebensunterhalt kommen. Wirklich beantworten kann die Frage niemand, auch weil in vielen Familien keine Männer leben – sie sind im Krieg gefallen oder kämpfen noch an irgendeiner Front oder sie sind verschwunden. Manche Flüchtlinge sind schon lang da und der einen oder anderen Lehmhütte ist anzusehen, dass die Menschen, die darin wohnen, sich auf längere Zeit eingerichtet haben und vereinzelt haben die Bewohner sogar eine einzelne Palme aus dem kargen Boden gezogen.

Auf dem Rückweg stoppen die Fahrzeuge mit der EKD-Delegation noch an einer Schule, die von der Presbyterkirche eingerichtet ist. 350 Kinder werden dort unterrichtet. Bildung als eine Grundvoraussetzung fürs Leben könne gerade die Kirche bieten, weiß einer der Lehrer, der in dieser Wüste unterrichtet. Doch immer wieder werde die Bildung, die sie anbieten, abgebrochen, weil Familien zurückkehren würden. Das Kollegium an dieser Slumschule versteht seinen Bildungsauftrag aus christlichem Glauben. So werden den Kindern nicht nur das Basiswissen beigebracht, sondern auch biblische Geschichten erzählt. Während das Kollegium der EKD-Delegation erzählt, toben die Kinder auf dem freien Platz vor der Schule: ärmlicher gekleidet, mit weniger Spielzeug ausgestattet und im aufwirbelnden rotbraunen Sand, aber nicht weniger laut, nicht weniger fröhlich, nicht weniger umtriebig als Kinder in anderen Gegenden der Welt.

Welche Not in diesem – und auch in den anderen – Camps bei Khartum herrsche, sei augenfällig, fasst der Ratsvorsitzende der EKD, Bischof Wolfgang Huber, die Erfahrung des Vormittags zusammen. In diesen Lagern könne niemand auf Dauer leben, deshalb müssten Programme aufgelegt werden, die Menschen wieder in ihre Heimat zurück zu führen. Wahrscheinlich können es die, die seit Jahren in diesen Lagern leben, allein nicht schaffen, deshalb müsste schon für den Weg zurück Unterstützung geschaffen werden.

Für die Mitglieder der EKD-Delegation geht es weiter im Programm. Ein bisschen von dem braunroten Sand nehmen sie mit – er hat sich auf die Haut gelegt, in die Kleider geschmuggelt und steckt in den Schuhen. Doch die Menschen, die dort leben, müssen bleiben im rotbraunen Sand, in unerträglicher Hitze und in Lebensbedingungen, die kaum vorstellbar sind.

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