Nachdenken, besinnen und Orientierung suchen

Evangelische Christen feiern den Buß- und Bettag

15. November 2005


"Reines Gewissen - Moral Mogelpackung - 5,49 Euro": Das Plakat der Evangelischen Kirche von Kurhessen-Waldeck sieht aus wie eine Waschmittelwerbung. Es illustriert die diesjährige Kampagne der Landeskirche zum Buß- und Bettag am 16. November. Motto: "Was sind Ihre Werte wert?" Mit solchen und ähnlichen Aktionen wollen evangelische Christen bundesweit zum Nachdenken und zur Besinnung rufen. Seit zehn Jahren ist der Buß- und Bettag nur noch ein Kirchenfest: Am 16. November 1994 war er zuletzt als arbeitsfreier Feiertag begangen worden.

"Buße" ist nach allgemeinem Sprachgebrauch die Wiedergutmachung für begangenes Unrecht. Seit Beginn der Kirche gab es darum eine Vielzahl von Bußtagen, die mit Fasten und Gebet begangen wurden. Sie galten meist der Abwendung von Seuchen, Hungersnöten, Naturkatastrophen und der Kriegsgefahr. Angesichts des drohenden «Türkensturms» rief etwa Kaiser Karl V. im Jahr 1535 das Reich zur Buße auf.

Anfang des 18. Jahrhunderts ordnete der preußische König Friedrich Wilhelm I. den Bußtag ausdrücklich zu dem Zweck an, dass Untertanen und Obrigkeit gemeinsam Gott um Vergebung für die Unvollkommenheit staatlichen Handelns und des daraus entstehenden Leides bitten sollten. Vielerorts gab es mehrere Bußtage pro Jahr, in Württemberg sogar monatlich. 1878 existierten den Chroniken zufolge in den 26 evangelischen Gebieten des Deutschen Reiches 47 unterschiedliche Bußtage.

In der NS-Zeit wurde der Bußtag 1934 auf Grund der erlassenen Gesetze über die Feiertage erstmals im ganzen Deutschen Reich an einem Novembermittwoch vereinheitlicht und gesetzlich geschützt. 1940 jedoch wurde er «im Einvernehmen mit dem Reichsminister für Volksaufklärung und Propaganda» auf den vorausgehenden Sonntag verlegt - was faktisch einer Abschaffung gleichkam.

Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde der Buß- und Bettag in ganz Deutschland gesetzlicher Feiertag - bis auf Bayern. Hier hatten erst ab 1952 evangelische Schüler und Arbeitnehmer ihren Rechtsanspruch auf Freistellung zum Gottesdienstbesuch. Erst 1981 galt die staatliche Feiertagsregelung auch für die Alpenrepublik.

In die Krise geriet die Buße Mitte der neunziger Jahre, ausgerechnet zur Regierungszeit der Christdemokraten: Zur Kompensierung des Kostenanteils der Arbeitgeber an der Pflegeversicherung wurde der Buß- und Bettag als staatlicher Feiertag 1995 abgeschafft, nur in Sachsen nicht. Proteste, Kampagnen und Volksinitiativen halfen nicht. In Schleswig-Holstein scheiterte ein Volksentscheid am 1. Advent 1997 an der geringen Wahlbeteiligung von nur 19,9 Prozent - erforderlich wären 25 Prozent gewesen.

Trotz der Niederlage kam keine Katerstimmung auf: Beim Thema Bußtag hatte sich die evangelische Kirche vielerorts als kampagnenfähig erwiesen. Das alte Wort «Buße» wurde im Zusammenhang mit Umweltzerstörung, Armut, Ausgrenzung und Benachteiligung neu diskutiert. «Die Gemeinden sind wach geworden», sagte die Hamburger Bischöfin Maria Jepsen. Der Bußtag erlebe seine «inhaltliche Renaissance».

So wird auch in diesem Jahr der Buß- und Bettag als "Anlass zur Umkehr und neuer Ausrichtung auf das Wesentliche im Leben" gefeiert, sagt der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland, Bischof Wolfgang Huber. Am Buß- und Bettag laden die evangelischen Gemeinden zu Gottesdiensten, Andachten und Gebeten ein, oft am frühen Abend, um den Berufstätigen die Möglichkeit zur Teilnahme zu geben.

Buß- und Bettagskampagne der Evangelischen Kirche von Kurhessen-Waldeck