Wer das Gedächtnis verliert, verliert die Orientierung

Wort der Kirchen zum 60. Jahrestag des Kriegsendes

29. April 2005


Zum sechzigsten Male jährt sich am 8. Mai 2005 das Ende des Zweiten Weltkrieges. Die Völker Europas und der Welt und mit ihnen wir Deutschen waren mit diesem Tag endgültig von der nationalsozialistischen Schreckensherrschaft befreit. Die Leiden des Krieges wirkten noch lange nach. Die Botschaft von der Versöhnung fand nur zögernd Gehör. Und doch ging von diesem Datum eine Epoche aus, in welcher der Frieden in Europa Gestalt gewinnen konnte. Botschafter der Versöhnung und des Friedens wollen wir als Kirchen auch heute, sechzig Jahre nach Kriegsende, sein.

Wir erinnern uns, damit wir uns unserer eigenen Verantwortung bewusst werden.

Immer weniger Menschen leben unter uns, die die Schrecken des Krieges, seine Vorgeschichte und den neuen Anfang nach der Katastrophe noch selbst erlebt haben und aus eigener Anschauung davon erzählen können. Umso stärker sind die Bemühungen geworden, die Geschehnisse historisch darzustellen und persönliche Erinnerungen der Zeitzeugen aufzubewahren. Zahlreiche neue Filme, Fernsehsendungen und Bücher belegen dies. Die Gewaltgeschichte, die von Deutschland ausging und auf Deutschland zurückschlug, nimmt immer noch, sei es bewusst oder unbewusst, Einfluss auf das Leben, Denken und Empfinden der Menschen. So verlangt unsere Geschichte immer neu nach Auseinandersetzung und Deutung. Wer das Gedächtnis verliert, verliert die Orientierung.

Wir gedenken der Unheils- und Schuldgeschichte nicht, um auf ewig an sie gefesselt zu bleiben, sondern um ihren Bann zu brechen. Als Christen wissen wir: Der Glaube an Gottes Güte macht frei, sich auch den dunklen Seiten der eigenen Biographie und der Schuldgeschichte des eigenen Volkes zu stellen.

Das Wort der christlichen Kirchen im Wortlaut